Der Kaffee im Thermosbecher, das Frühstück in der Tasche – das kennen 39 Prozent der Beschäftigten in Deutschland, denn sie pendeln zur Arbeit in einen anderen Kreis innerhalb Deutschlands. Gründe dafür gibt es viele: In Ballungsgebieten wie Hamburg oder München drängen steigende Mietpreise Arbeitnehmer in die Randbezirke, in strukturschwachen Regionen ist das Arbeitsplatzangebot oft wenig ansprechend, und gerade für hoch qualifizierte Paare ist es häufig schwierig, am selben Ort einen attraktiven Job zu finden (PDF). Die Konsequenz: War es im Jahr 1991 noch jeder fünfte, so benötigte im Jahr 2016 schon mehr als jeder vierte Erwerbstätige mehr als 30 Minuten für den Weg ins Büro. Einer von ihnen bin ich. Wie rund 321.000 weitere Menschen gehöre ich zu den Einpendlern nach Hamburg, fahre also jeden Morgen zur Arbeit in die Hansestadt. Und mittlerweile habe ich mich mit der täglichen Zugfahrt arrangiert – nicht zuletzt, weil ich mir mittlerweile einige Maximen angeeignet habe, die mich besser und entspannter zwischen Wohn- und Arbeitsort pendeln lassen.
Besser pendeln mit öffentlichen Verkehrsmitteln
Wagen 11 verkehrt heute als mobile Sauna, im Bordrestaurant gibt es statt den auf der Karte versprochenen Königsberger Klopsen nur Snickers und BiFi, und das WLAN im ICE ist langsamer als die Regionalbahn auf dem Nebengleis – beim Pendeln auf die Bahn zu setzen, scheint zunächst kontraintuitiv. Und in der Tat: Über zwei Drittel der Pendler setzen sich weiterhin selbst ans Steuer – und erhöhen damit den Stressfaktor bei der An- und Abreise um ein Vielfaches. Denn: Wenn sich Autofahrer hoch konzentriert durch die Rushhour der Großstadt schlängeln müssen, kann der Bahnfahrer seine Fahrtzeit mit Sinn füllen, dazu gleich mehr.
Und wenn dann doch mal etwas schiefläuft (und das tritt früher oder später zwangsläufig ein): Während sich der anonyme Stauverursacher im Auto kaum adressieren lässt, wird der Reisende von der Bahn bei größeren Verspätungen sogar finanziell entschädigt. Und ganz nebenbei schont die Bahnfahrt auch noch die Umwelt.
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Die Fahrtzeit mit Sinn füllen
In Gesprächen rund ums Pendeln wird immer wieder die „verlorene“ Zeit auf dem Arbeitsweg als Argument gegen das Pendeln ins Feld geführt. Durchaus zu Recht, denn bei einem Arbeitsweg von jeweils anderthalb Stunden reduziert sich das tägliche Netto-Freizeit-Budget um drei Stunden. Umso wichtiger ist es, die Fahrtzeit mit Sinn zu füllen. Der tägliche Weg zur Arbeit ermöglicht es Bahnfahrern unter anderem, mal wieder eine Tageszeitung zu lesen, sich Podcasts zu widmen oder den Blick aus dem Fenster schweifen zu lassen und – in meinem Fall – der schleswig-holsteinischen Steppe beim Jahreswechsel zuzusehen. Auch Netflix und Co. funktionieren im Großraumwagen genauso gut wie auf dem heimischen Sofa, solange die Kopfhörer im Gepäck sind. Und auch Autofahrer können sich mit Inforadios, Hörbüchern und Co. zumindest die Fahrt verschönern, sollten sich aber dadurch nicht ablenken lassen.
Wer besser pendeln will, muss informiert sein
Besonders ärgerlich sind Verspätungen dann, wenn man sie kurzfristig – womöglich erst am Bahnhof selbst – erfährt. Wenn am Bahnsteig aus zehn Minuten Verspätung zunächst 20 und irgendwann dann 50 Minuten werden, steigt der Stresspegel auch deshalb, weil die Bahnsteige der Republik meist keine weitläufigen Wellness-Oasen sind. Unerlässlich ist es deshalb, jederzeit über die Zustände auf den Schienen informiert zu sein. Kündigt sich dann eine Verspätung an, weiß man frühzeitig Bescheid und kann auf dem Weg zum Bahnhof noch den Wocheneinkauf erledigen. Der wichtigste Begleiter für Bahnpendler deshalb: der DB Streckenagent. In dieser App können für bestimmte Strecken Push-Nachrichten eingerichtet werden, die über jede Verspätung auf der gewählten Strecke sofort informieren. Autofahrer sollten entsprechend die Staus im Blick behalten – auch auf den Alternativrouten.
McKinsey lässt grüßen – Prozessoptimierung auf dem Arbeitsweg
In welchem Waggon komme ich am Zielbahnhof direkt an der Treppe zur U-Bahn an? Wann muss ich im Büro meinen Laptop herunterfahren, wenn ich bei Zugeinfahrt pünktlich am Bahnsteig stehen will? Und wie reagiere ich in schnellstmöglicher Zeit auf Fahrplanabweichungen? Pendler sind wahre Prozessoptimierer. Bereits nach wenigen Wochen stellt sich eine minutiös geplante Routine auf dem Arbeitsweg ein, die nach allen Effektivitätsgrundsätzen strukturiert ist. Wer die Prozessoptimierung sportlich nimmt, entwickelt bisweilen sogar anspornenden Ehrgeiz auf der Suche nach zeitlichen Einsparungspotenzialen. Und kann längst vergessene Rituale wiederbeleben: Fällt das Abendessen zu Hause aus zeitlichen Gründen aus, kann auf der Rückfahrt im Speisewagen ein Abendessen auf Schienen zu sich genommen werden, während die Landschaft an einem vorbeirollt. Tipp des Autors: In den Speisewagen der EuroCity-Züge der Tschechischen Bahn wird noch frisch auf dem Herd gekocht – so ließ sich auch der tschechische Schriftsteller Jaroslav Rudiš von den roten Platzdeckchen, den runden Lämpchen und den böhmischen Knödeln in eben diesen Wagen für seinen Roman „Winterbergs letzte Reise“ inspirieren.
Resilienz entwickeln, um entspannter zu pendeln
Allen vorangegangenen Lobeshymnen zum Trotz: Als Bahnpendler muss man mit Schulklassen im Großraumabteil oder Weichenstörungen auf dem Nachhauseweg leben. Statt sich darüber grün und blau zu ärgern, sollte man sich vor Augen führen, dass es für die meisten Hindernisse relativ einfache Lösungen gibt. Gegen die Schulklasse helfen gute Noise-Cancelling-Kopfhörer, und im Falle einer Weichenstörung schaut man einfach eine weitere Folge der Lieblingsserie an. Ohnehin sitzt man bei Verspätungen im Zug sprichwörtlich im selben Boot – der Austausch von neusten Erzählungen aus dem Kuriositätenkabinett der Vielfahrer lässt Ärger schnell in Amüsement umschlagen, sei es im Abteil oder in den sozialen Medien. Als Autofahrer gelingt ein ähnlicher Effekt bei einer Fahrgemeinschaft, denn immerhin flucht es sich über den nächsten Stau zu zweit (oder fünft) besser als alleine. Pendeln stärkt somit auch die Resilienz des Pendlers – was nicht nur auf dem Arbeitsweg, sondern auch im Büro ein nicht zu verachtender Soft Skill ist.
Flexibel sein und Pendelpausen einplanen
Trotz aller gut gemeinten Ratschläge – auf Dauer schlaucht die Pendelei, gerade auf langen Strecken. Umso wichtiger ist deshalb ein modernes Arbeitsumfeld, das flexible Arbeitszeiten und -orte zulässt. Flexible Arbeitszeitmodelle erlauben es, der Rushhour aus dem Weg zu gehen und spontan auf (Zug-)Verspätungen zu reagieren. Und wenn auf der Bahnheimfahrt doch mal der Arbeitslaptop aufgeklappt wird, sollte mit dem Arbeitgeber eine Abmachung getroffen werden, dass diese Zeit auch als vollwertige Arbeitszeit anerkannt wird.
Und wenn all die Flexibilität nicht hilft: Ein bis zwei Tage Homeoffice pro Woche entspannen die Pendlerseele, gerade zu Wochenbeginn und Wochenende.
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Titelbild: pexels.com