Kuba und Kommunismus – seit der Revolution unter Fidel und Raúl Castro im Jahr 1959 ein scheinbar nicht zu trennendes Begriffspaar. Unter dem neuen Staatschef Miguel Díaz-Canel, der Raúl Castro 2018 ablöste, hat das kubanische Parlament jetzt einem neuen Verfassungsentwurf zugestimmt: Dieser streicht das Wort „Kommunismus“ erstmals komplett aus der Verfassung. Kuba steht damit politisch und wirtschaftlich vor einem Umbruch. Welchen Einfluss hat das auf die Menschen in Kuba? Wie wirken sich politische Veränderungsprozesse auf gesellschaftliche Werte aus? Und umgekehrt? Das sind Fragen, die sich Gerd George stellt. Der Hamburger Fotograf hat Kampagnen von Lufthansa, Mercedes Benz oder der Commerzbank fotografisch begleitet, setzt mit seinen eigenen Projekten aber ganz andere Schwerpunkte. Mit Cuba Now! wagt sich George an Abbildungen des Alltags der Menschen auf Kuba.
Im Interview in Hamburg spricht er über Kuba als Nation und Lebensraum, die stattfindende gesellschaftliche Transformation und die Rolle der Fotografie in Werbung und Journalismus.
Herr George, Ihr neues Projekt Cuba Now! bezeichnen Sie als „Bildband der anderen Art“. Womit hebt sich das Projekt von anderen, traditionellen Fotoprojekten ab?
Wir wollen nicht nach Kuba fahren und eine Fotoreportage im Checklistenverfahren – Zigarren, alte Autos, Rum – machen. Die Menschen auf den Bildern sollen selbst erzählen und die Erzählungen sollen bildlich darstellbar sein. Wir möchten, dass die Kubaner selbst erklären, wie sie ihre Gesellschaft erleben und was für sie Gesellschaft ausmacht. Aus diesen Alltagsgeschichten extrahieren wir ein inszeniertes und vielleicht auch überzeichnetes Bild, das den Geschichten der Personen eine Bühne bietet und sie visuell erfahrbar machen soll. Wir erzählen also Geschichten, die man – selbst wenn man nach Kuba fährt – dort nicht ohne weiteres sehen kann.
Warum hat Sie ausgerechnet Kuba zu einem neuen Projekt inspiriert?
Der Zeitpunkt schreit nach einer Bestandsaufnahme. In Kuba hat mich vor allem der Gemeinschaftssinn beeindruckt. Besitzverhältnisse spielen eine untergeordnete Rolle und der Gemeinschaftsgedanke steht oft über persönlichen Befindlichkeiten. Wenn jemand in Kuba ein Auto hat und sich den Sprit leisten kann, dann ist es eine Selbstverständlichkeit, andere an der eigenen Mobilität teilhaben zu lassen. Mit dieser Freude am Teilen leben die Kubaner Werte, die wir selber verlernt haben.
In Deutschland hat sich das Geschäftsmodell der Sharing Economy mittlerweile fest etabliert. Wir kaufen keine Güter mehr, sondern leihen sie aus. Sind wir damit diesem Gemeinschaftssinn nicht näher als man denkt?
Im Prinzip versuchen wir, mit Sharing-Modellen genau dort hin zu rudern, wo viele Kubaner gerade sind, nämlich Abstand zu nehmen von Kategorien wie „Mein“ und „Dein“. Das funktioniert aber derzeit leider nur aus einer primär wirtschaftlichen Motivlage und nicht aus gesellschaftlichem Gemeinschaftsgefühl. Paradoxerweise ist auch in Kuba Effektivität oberstes Leitmotiv – nur eben gesamtgesellschaftlich gedacht.
Auch Kuba öffnet sich langsam der westlichen Welt, pro Tag legt ein Kreuzfahrtschiff in Havanna an, es eröffnen Restaurants, Kleinunternehmen entstehen. Wie wirken sich diese Veränderungen auf diesen Gemeinschaftssinn aus?
Diese Entwicklungen bringen natürlich eine unglaubliche Lebensqualität nach Kuba und sind nicht mehr aufzuhalten. Kuba ist ein wahnsinnig interessantes Testfeld, an dem man wunderbar dokumentieren kann, wie sich eine wirtschaftliche Öffnung auf die Wertestruktur einer Gesellschaft auswirkt. Wie sich diese Öffnung auswirkt, vermag ich nicht zu prognostizieren. Gerade deshalb ist Cuba Now! ein so spannendes Projekt.
Sie haben bereits die Werbekampagnen vieler bekannter Großunternehmen fotografisch begleitet. Auf welche Herausforderungen treffen Sie im Bereich Werbung, auf welche in der journalistischen Fotografie?
Auf den ersten Blick schließen sich beide Welten aus. Viele Fotojournalisten würden niemals Werbefotos machen, weil Authentizität oberste Maxime ist. Umgekehrt stehen viele Werbefotografen vor der Herausforderung, dass sie ohne Inszenierung kein gutes Foto machen können. Ich empfinde die Kombination beider Perspektiven als Geschenk, weil sie sich unglaublich befruchten. Einerseits muss Werbung idealtypische Bilder zeigen, dabei aber gleichzeitig authentisch und glaubwürdig sein. Inspirationen für dieses „Slice of Live“ hole ich mir dabei aus der journalistischen Arbeit. Andererseits wird im Fotojournalismus Authentizität vorausgesetzt, die Fotos sollen aber trotzdem ungewöhnlich und besonders sein. Dazu kann ich mich aus dem Werkzeugkasten der Werbefotografie bedienen, wo vor allem Reduktion eine wichtige Rolle spielt. Fotografie muss man ganzheitlich erleben.
Sie finanzieren das Projekt unter anderem über die Crowfunding-Plattform Startnext. Welche besonderen Chancen bietet diese gruppenbasierte Finanzierung für Projekte aus dem Bereich Kunst und Kultur?
Dadurch, dass wir in Cuba Now! eigene Sets errichten und mit einem großen Team unterwegs sind, ist der finanzielle Aufwand des Projekts sehr hoch. Diesen Aufwand können viele Verlage heutzutage nicht stemmen. Deshalb haben wir uns für Crowdfunding entschieden. Um die Idee eines Kunstprojekts transportieren zu können, muss sich die Zielgruppe allerdings intensiv mit dem Projekt auseinandersetzen. Anders als im Buchladen, in dem potenzielle Käufer oft viel Zeit mitbringen, um sich zu informieren oder querzulesen, muss die Zielgruppe im Crowdfunding sofort und unmittelbar abgeholt werden. Wenn dieser Spagat zwischen Tiefgang und einer ansprechenden, knappen Darstellung gelingt und das Projekt über Social Media umfangreich beworben wird, bietet Crowdfunding große Chancen für außergewöhnliche und innovative Buchkonzepte. Die Finanzierung ist noch nicht am Ende. Wer sich für unser Projekt interessiert, ist herzlich eingeladen, sich auf Startnext über unser Projekt zu informieren.
Foto: Gerd George