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Kein geringer als Kaiser Wilhelm II. war es, der am 20. Juni 1895 den Schlussstein des Nord-Ostsee-Kanals – kurz NOK – legte. Ein imposantes Bauwerk, das auf rund 100 Kilometer Länge quer durch Schleswig-Holstein führt und nun seit 125 Jahren die Landschaft und Wirtschaft prägt. Wie die Wasserstraße entstand und welchen Einfluss sie bis heute hat, beschreiben Dietrich Duppel und Martin Krieger in ihrem Buch „Nord-Ostsee-Kanal. Biografie einer Wasserstraße“ (Wachholtz Verlag).

Im Interview erklären Historiker Martin Krieger und Filmemacher Dietrich Duppel, wieso der Nord-Ostsee-Kanal seinen Zeitplan einhalten konnte und welche Rolle die Natur an der Wasserstraße heute spielt.

Herr Duppel, Herr Krieger, acht Jahre dauerte die Bauzeit des Nord-Ostsee-Kanals, er wurde 1895 eröffnet. Waren die Maßnahmen damals im Zeitplan oder, wie in heutiger Großbauwerk-Manier, hinten dran?

Dietrich Duppel: Der Kanalbau war pünktlich fertig. Das ist heute fast unvorstellbar, es lag aber daran, dass es ein Gesetz zum Kanalbau gab und Einwendungen oder Planfeststellungsverfahren kaum möglich waren. Die Grundbesitzer wurden enteignet und entschädigt und ihre Einwendungen hatten keine aufschiebende Wirkung. Der Kaiser wollte den Kanal und sein Machtwort räumte zahlreiche Hindernisse aus dem Weg. Risiken wurden auf die Bauunternehmer und damit letztlich auch auf die Arbeiter abgewälzt. Das ist in gewisser Weise vergleichbar mit heutigen Großbaustellen in China. Entscheidend war aber vor allem die sehr gute bau- und ingenieurtechnische Planung.

Wer kommt überhaupt auf die Idee, eine 100 Kilometer lange Wasserstraße quer durch das Land zu graben?

Martin Krieger: Den Wunsch und auch Versuche, einen Kanal quer durch die jütische Halbinsel zu graben, gab es seit vielen Jahrhunderten. Im Zeitalter der Segelschiffe war es nämlich enorm gefährlich und verlustreich, Jütland um Kap Skagen herum zu umfahren. Im Grunde machten es schon die alten Wikinger vor, als sie die Handelsgüter auf dem Weg von der Nord- in die Ostsee auf dem Landweg quer durch Schleswig-Holstein transportierten. Seit dem 15. Jahrhundert dachten die Landesherren an einen Kanal, aber erst 1784 konnte der eigentliche Vorgänger des heutigen Nord-Ostsee-Kanals eröffnet werden.

Dietrich Duppel: Ein besonderes Interesse hatten stets die Hamburger, denn für sie ergab sich unter allen Häfen die größte Streckenersparnis auf dem Weg in die Ostsee. Die Idee konkretisiert und wirtschaftlich geplant hat der Hamburger Reeder Hermann Dahlström, aber erst als Reichskanzler Otto von Bismarck den Kaiser überreden konnte, den heutigen Kanal gegen den Willen des Militärs zu bauen, wurde aus der Idee Realität.

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Lange Zeit hieß der Kanal auch „Kaiser-Wilhelm-Kanal“. Wie viel Preußen steckt in dem Bau?

Dietrich Duppel: In seinen Ursprüngen ist der Kanal durch und durch preußisch. Bismarck wollte den Kanal vor allem aber als Symbol des neugegründeten Deutschen Reiches, das neben Preußen auch viele andere deutsche Territorien umfasste. In besonderer Weise stellte der Kanal immer auch ein Spiegelbild deutscher Geschichte und deutscher Befindlichkeiten dar. Mittlerweile ist er aber in erster Linie ein Stück Heimat und Identität der Schleswig-Holsteiner.

Rund um die Elbvertiefung gab es in den vergangenen Jahren umfassende Diskussionen um die damit verbundenen Eingriffe ins Ökosystem. Haben solche Überlegungen beim Bau des Nord-Ostsee-Kanals eine Rolle gespielt?

Dietrich Duppel: Den einzigen Protest von Seiten des Naturschutzes gab es beim Kanal-Bau, als italienische Arbeiter mit schweren Holztüren Vogelfallen errichteten, mit denen das Federvieh erschlagen und dann von den Arbeitern in der Tradition ihrer Heimat verspeist wurde. Das waren natürlich andere Zeiten als heute. Wirklich problematisch waren die Senkung des Grundwasserspiegels in Rendsburg und die Tieferlegung des Flemhuder Sees um sieben Meter!   

Welche Rolle spielt die Natur rund um die Wasserstraße heute?

Martin Krieger: Im Umfeld des Kanals liegen weite ökologisch sensible Landstriche, die von einer einzigartigen Flora und Fauna geprägt werden. Der Kanal in seinem natürlichen Umfeld bedeutet einen einzigartigen Erholungswert für die Menschen. Andererseits stellen aktuelle Bauvorhaben einen großen Eingriff in die Natur dar. Das Wasserstraßen- und Schifffahrtsamt in Holtenau beschreitet hier einen klugen und transparenten Weg. Entscheidungsträger vor Ort sind stets eingebunden, wenn es um den Interessenausgleich zwischen Natur und Verkehr auf dem Kanal geht.

Heute, 125 Jahre nach Eröffnung, befinden wir uns in einem wirtschaftlichen Abschwung. Macht sich Corona bereits in Aufkommen des Nord-Ostsee-Kanals bemerkbar?

Dietrich Duppel: Die Zahl der Fahrten durch den Nord-Ostsee-Kanal ging um etwa 4 Prozent zurück. Dies hängt aber auch damit zusammen, dass der Ölpreis enorm gesunken ist und für manche Frachter der Umweg über Skagen günstiger ist, als die Passage durch den NOK. Aber der Kanal hat schon so manche Krise überstanden.

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Der Wachholtz Verlag, in dem das Buch von Dietrich Duppel und Martin Krieger erschienen ist, ist eine Beteiligung der Mediengruppe Murmann Publishers.

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