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Wenn es um Bildung geht, sind sich die meisten einig: Sie ist wichtig. Aber wie, wann und wo sie idealerweise vermittelt wird, ist Gegenstand permanenter Diskussionen. Schnell landet man da bei Schlagwörtern wie „frühkindliche Bildung“, den „bildungsfernen Schichten“ und auch bei Hochbegabung. Als Professor für Verhaltensphysiologie und Entwicklungsneurobiologie an der Universität Bremen beschäftigt sich Gerhard Roth mit diesen Aspekten, die er auch im aktuellen Kursbuch „301 Gramm Bildung“ beleuchtet.

In unserem Interview gibt Gerhard Roth Einschätzungen zu Hochbegabung, frühkindlicher Bildung und den Vereinbarungen zur Bildung im neuen Koalitionsvertrag.

Herr Roth, wenn von Investitionen in die Bildung gesprochen wird, ist dabei zumeist die Schul- bzw. Hochschulphase im Fokus. Welche Rolle spielt die Zeit vor Schulbeginn für die Intelligenz?

Neben genetischen Faktoren, die bei der Intelligenz etwa 30% ausmachen, spielen vorgeburtliche Einflüsse und früh-nachgeburtliche Entwicklungsbedingungen in der Familie eine wichtige Rolle für die kognitive und die emotionale Entwicklung. Diese betragen ebenfalls rund 30% und wurden früher fälschlich zu den „angeborenen“ Intelligenzfaktoren hinzugerechnet. Die heutige Erkenntnis lautet, dass die unspezifischen und spezifischen Umwelteinflüsse wichtiger sind als die genetischen.

Welche Einflüsse nach der Geburt schaden der Intelligenz denn am meisten?

Vernachlässigung, Misshandlung und Missbrauch sowie eine eintönige oder überlastende Umgebung – etwa Fernsehen – sind nicht nur für die Persönlichkeit, sondern auch für die Intelligenzentwicklung sehr schädlich.

In ihrem Beitrag im Kursbuch schreiben Sie, „dass der IQ der Kinderzeit die spätere Schichtenzugehörigkeit signifikant vorhersagt“. Bedeutet dies dann, dass die sogenannten „bildungsfernen Schichten“ ihr Kind durch frühe Bildung den sozialen Aufstieg sichern könnten?

Da es einen engen Zusammenhang zwischen dem sozioökonomischen Status und der Bildungsnähe der Herkunftsfamilie einerseits und dem IQ des Kindes gibt, ist es für die Intelligenzentwicklung des Kindes unbedingt nötig, Bildungsnähe in den Familien herzustellen. Dies erhöht zugleich die Chancen für einen sozialen Aufstieg.

Bräuchte es für frühkindliche Bildung dann aber nicht auch mehr Unterstützung durch den Staat?

Unbedingt! Keine staatliche Investition ist so dringend notwendig und so effektiv wie die Investition in positive familiäre Bedingungen für das Kind. Leider herrscht in den Kommunen immer noch eine „Scheu“, beim Vorliegen negativer Bedingungen in die vermeintlichen Elternrechte einzugreifen.

Hochbegabte, so schreiben Sie, könnten u. a. früher laufen und sprechen und kämen früher in die Pubertät. Inwiefern hängen diese doch recht unterschiedlichen Merkmale mit Hochbegabung zusammen?

Diese Zusammenhänge sind nicht genau geklärt. Wahrscheinlich entsteht der Zusammenhang dadurch, dass günstige genetische Vorbedingungen hoher Intelligenz sich im Rahmen einer gesunden körperlichen, geistigen und psychischen Entwicklung am besten „verwirklichen“ können. Intelligenz ist ja nichts, was unabhängig von Körper und Persönlichkeit in der Luft hängt.

Zeit und Geld sind endliche Ressourcen, das gilt auch in der Bildung. Hilft es unserer Gesellschaft mehr, besonders die Hochbegabten und die Minderbegabten zu fördern oder ist der Einsatz der Gießkanne sinnvoller, sodass alle ein bisschen gefördert werden?

Man sollte am besten an den „Rändern“ fördern, d. h. einerseits den Kindern in prekären Familienverhältnissen helfen, da diese sonst kaum Chancen haben, und andererseits den Hochbegabten viel mehr Raum für ihre Individualentwicklung und ihre meist vielfältigen Interessen geben, was an den Hochschulen in unserem Land meist nicht geschieht. Die Förderung hochbegabter junger Menschen wurde zu lange aus politisch-ideologischen Gründen diskreditiert, und man hielt sich lieber an eine Gießkannenpolitik zu Förderung breiter Schichten, die aber kaum etwas gebracht hat.

Aus Ihrer Sicht als Verhaltensphysiologe und Entwicklungsneurobiologe: Sind die Vereinbarungen im neuen Koalitionsvertrag ein Weg in die richtige Richtung einer gerne geforderten Bildungsrepublik?

Natürlich ist der Fortfall des Kooperationsverbots gut. Aber in der forcierten Einführung digitaler Medien in die Schulen – gegen den Widerstand von rund 80% der meist unvorbereiteten und allein gelassenen Lehrerschaft – das Allheilmittel zu sehen, ist sehr naiv. Alle bisher evaluierten Projekte zur Einführung digitaler Medien in den Schulen haben nichts gebracht, außer dass die Schülerinnen und Schüler es toll finden, dasjenige in der Schule machen zu dürfen, was sie sonst nur außerhalb machen können. Die Ausstattung ist nach wie vor erbärmlich, die Lehrer haben nicht genügend Erfahrung in digitalen Medien, und der Unterricht wird nicht besser, da es bisher keine neuen pädagogisch-didaktischen Konzepte für den Einsatz digitaler Medien gibt.

 

Veranstaltungshinweis:

Passend zum neuen Kursbuch „301 Gramm Bildung“ geht es am 8. März beim Salon im Luitpold in München um „Hochbegabt“. Mit dabei: Gerhard Roth (Gehirnforscher und Verhaltensphysiologe), Peter Felixberger (Herausgeber Kursbuch) und Thomas Vasek (Chefredakteur von Hohe Luft Magazin).

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