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Passenderweise heißt das Mashup der Songs von The Stroke und Christina Aguilera „A Stroke Of Genie-us“ und bringt dabei zwei völlig unterschiedliche Lieder zusammen, um einen neuen Song zu erschaffen. Was für die Remix-, GIF-, Meme- und eben Mashup-gewöhnte Userschaft im Jahr 2017 völlig normal ist, hat im Prinzip eine viel weitreichendere Tradition und gesellschaftliche Bedeutung, als der Begriff im ersten Moment vermuten ließe.

Vier Gründe für den Mashup-Trend

Um das verständlicher zu machen, schauen wir zunächst mal auf die Gründe, weshalb das Vermischen von künstlerischen Inhalten wie Musik oder Filmausschnitten gerade Hochkonjunktur hat:

Erstens die pure technische Möglichkeit, dass jeder vom Rechner, Tablet oder Smartphone aus GIFs oder Mashups erstellen kann. Nicht mehr nur Profis haben Zugriff auf die benötigten Tools, sondern quasi jeder; das Verschwimmen der Grenzen von Produzent und Konsument nimmt zu, weshalb vom „Prosumenten“ gesprochen wird.

Zweitens die zunehmende Identifikation mit popkulturellen Artefakten, nicht umsonst gibt es zu „Harry Potter“ und Co. Fanfiction, in der die Lieblingsfiguren aus Büchern, Serien oder Filmen in neuen Liebesbeziehungen zusammenkommen oder vor neue Herausforderungen gestellt werden. Dabei werden diese Referenzen und Rekontextualisierungen nicht nur von den Usern, sondern auch von Profis genutzt – „Die Simpsons“ oder „Glee“ sind gute Beispiele für das Spiel der Referenzen.

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Drittens scheint die Kreativität an sich keine Grenzen zu kennen – so erscheinen allein in Deutschland im Jahr 2015 insgesamt 89.506 Titel neu- und Erstauflagen, doch die Anzahl der grundsätzlichen Erzählmuster scheint begrenzt. Das Erzählmuster „Klein gegen Groß“ wird nicht grundlos oftmals als Kampf von David gegen Goliath bezeichnet, mit der Referenz auf die bekannte biblische Geschichte. Moderne Formen dieses Kampfs finden sich von den Texten Kafkas, dessen Protagonisten oft gegen übermächtige Institutionen kämpfen, bis zu aktuellen Serien wie „Goliath“, in der sich ein kleines Anwaltsteam eine große Firma zur Brust nimmt. Kurzum scheint es also unterschiedliche Variationen eines Erzählmusters zu geben – nichts anderes suggeriert auch das Prinzip der Heldenreise, aber eben eine grundsätzliche Begrenzung der Muster. Um die Lust nach mehr Inhalten zu befriedigen und den Rezipienten gleichzeitig nicht völlig vor den Kopf zu stoßen, bedarf es also das richtige Maß von Variation und Beständigkeit.

Viertens, und so ehrlich müssen wir schon sein: Kein Künstler ist perfekt. Vielleicht war ein Musiker so in seinem Produktionsprozess gefangen, dass er die möglichen Abbiegungen, die sein Inhalt hätte nehmen können, nicht bemerkt hat. Oder der Inhalt ist speziell auf eine Zielgruppe zugeschnitten, würde aber mit leichten Abänderungen auch anderswo funktionieren. Die Überarbeitung ermöglicht also auch eine Rekontextualisierung und das Erschließen neuer Zielgruppen. Dafür braucht es manchmal nur einen Perspektivwechsel.

Mashup und Gesellschaft

Weiten wir nun unseren Blick wieder auf die Gesellschaft an sich, stellen wir schnell fest, dass sich das grundsätzliche Prinzip des Mashups nahezu überall finden lässt: Das Infragestellen und das Weiterentwickeln finden bei Gesetzestexten oder der Infrastruktur Anwendung, das Kombinieren von Ideen für ein neues Produkt ist das Prinzip eines jeden Koalitionsvertrags in der Politik. Nicht zu vergessen das Backen oder Kochen, wo unterschiedliche Zutaten zu etwas Neuem (bestenfalls Leckerem) kombiniert werden oder, oder, oder.

Dass das Prinzip nicht nur für konkrete Inhalte oder Projekte, sondern auch für Ideen an sich gilt, hat der Unternehmer Martin Gaedt in seinem Buch „Rock Your Idea“ beschrieben. Gaedt schreibt: „Voraussetzung für neue Ideen sind vorhandene Dinge und bestehendes Wissen. Nur was vorhanden ist, kann kombiniert werden.“ Das bedeutet: Auch Ideen sind im Endeffekt Mashups, die Bestehendes zusammenbringen.

Was bedeutet das nun konkret?

Einerseits bedeutet es für jeden einzelnen ein bisschen weniger Druck: Wir müssen nicht jeden Tag das Rad neu erfinden. Oft reicht es, anhand dessen, was wir schon haben oder wissen, weiterzumachen und weiterzudenken. Andererseits bedeutet es für die Gesellschaft, dass das Prinzip des Mashups schon viel älter ist als seine aktuelle Popularität in den künstlerischen Branchen vermuten lässt. Vielmehr ist es ein zentrales Prinzip unserer Kultur.

Um aber noch einen Schritt weiterzugehen: Vielleicht lassen sich die vier Prämissen für die aktuelle Popularität des künstlerischen Mashups – Verfügbarkeit der Technik, Relevanz der Popkultur, Begrenztheit der grundsätzlichen Erzähl-Muster sowie Offenheit für andere Perspektiven – auch nutzen, um andere gesellschaftliche Prozesse, die auf dem Mashup- bzw. Kombinations-Prinzip beruhen, wieder populärer zu machen.

Mit diesem Mashup-Verständnis können Politik und die politischen Parteien in der Bürgeransprache neue Akzente setzen, indem etwa Überarbeitungsprozesse – von Gesetzestexten, Anfragen, Reden usw. – transparent gemacht werden oder der User/Bürger stärker die Möglichkeit zur Mitsprache und Überarbeitung erhält.

Feiern wir also das Prinzip des Mashups, sollten wir den Blick nicht nur auf die künstlerischen Aspekte dessen lenken, sondern auch auf die gesellschaftlichen. Wir sollten Weiterentwicklung per se begrüßen und das Ergebnis im Nachhinein mit Blick auf seine Entstehungsvoraussetzung bewerten. Und uns gleichzeitig dazu anhalten, für uns neue Eindrücke aufzusaugen, um diese dann – künstlerisch, gesellschaftlich oder wie auch immer – einzusetzen.

 

Dieser Beitrag erschien in ähnlicher Weise zuerst auf der mittlerweile eingestellten Seite So. Digi. Pop..

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