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Was passiert, wenn Fox-News-Fans einen Monat lang gegen Entlohnung CNN schauen? Werden aus einem glühenden Trump-Verehrer ein liberaler Demokrat? Was passiert, wenn man die eigene Blase kurzzeitig verlässt? Diesen Fragen widmeten sich jüngst zwei US-amerikanische Politikwissenschaftler – mit einem eindeutigen Ergebnis: Die Zustimmungswerte zu populistischen und rassistischen Aussagen ging signifikant zurück. Zwar wandten sich die Zuschauer*innen nach der Studie schnell wieder dem Fox-Universum zu, trotzdem zeigt die Studie, wie sehr Narrative unser Denken bestimmen – und unser Denken unsere Narrative prägt. Das kann im Alltag entweder für gesellschaftlichen Fortschritt sorgen, oder längst überwunden geglaubte Denkmuster wieder im Zentrum der Gesellschaft gedeihen lassen. Kurzum: Das Wechselspiel zwischen Geschichte, Wirklichkeit und Realität hat das Potenzial, die Gesellschaft zu einem besseren Ort zu machen – oder Kriegen, Populismus und Spaltung Vorschub zu leiten. Um es mit den Worten des Philosophen Ludwigs Wittgenstein zu beschreiben: „Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt“.

Grund genug für Andri und Gieri Hinnen, sich in ihrem neuen Buch „Change it“ mit dem Veränderungspotenzial von Geschichten zu befassen und drei grundlegende Fragen zu beantworten: Wie wird die Wirklichkeit zur Geschichte? Wie wird die Geschichte zur guten Geschichte? Und wie wird die gute Geschichte zur Realität? Im Interview mit dem Murmann Magazin sprechen Sie unter anderem über genau dieses wechselseitige Verhältnis zwischen Change und Story.

In Eurem Buch vereint ihr Storytelling mit Change-Management. Was haben die beiden miteinander zu tun?

Die Geschichte ist einer der ältesten «Frames», welche die Menschheit nutzt, um ihr Dasein zu verstehen. Und sie ist per Definition ein Stück Information, das eine Transformation beinhaltet. Egal ob der Schüler, der zum Meister wird oder die Heldin, die von A nach B reist. Geschichte beschreibt immer eine Veränderung. Weshalb wir von ihr lernen können, ja lernen müssen, wie gute Veränderung funktioniert. Davon handelt »Change it!«.

Müssen wir also nur bessere Geschichten erzählen, um die Welt zu einem besseren Ort zu machen? 

So einfach ist es leider nicht. In »Change it« geht es uns nicht darum, einfach bessere Stories zu erzählen und so die Welt zu verändern. Spätestens seit Martin Luther King wissen wir: eine gute Geschichte oder eine gute Rede macht leider (noch) keine gute Realität. Aber wenn wir das ständige Wechselspiel von Realität und Geschichte wieder bewusster leben, kann es gelingen, Gestaltungsräume zu eröffnen.

Gefühlt lebt jeder heutzutage in seiner eigenen Blase. Wie schaffen wir es, wieder eine gemeinsame Erzählung zu finden?

Das Zeitalter der großen Narrative – Mythologien, Religionen, der kalte Krieg – ist vorbei. Trotzdem hängen viele von uns der Idee nach, dass es EINE Geschichte geben muss. Diese eine Wahrheit, die über allem thront und die jeder zu kontrollieren versucht. Wir plädieren für ein pluralistischeres Mindset: die Welt als Vielzahl zusammenhängender, aber auch widersprüchlicher Geschichten, die wir gemeinsam ko-kreieren. Im Buch erzählen wir das Märchen der Meisterweberin. Statt die Fehler ihrer Schülerinnen im Teppich zu korrigieren, verwebt sie diese einfach in ein immer grösser werdendes Muster. Denken Sie an ein großes Unternehmen: dieses hat nur Erfolg, wenn sich alle am gemeinsamen «Schreiben» der Geschichte beteiligen dürfen – dieses aber auch sorgsam gemanagt wird.

In Eurem Buch stiftet ihr in 21 Kapiteln zur Veränderung an. Welche sind die drei wichtigsten Anstiftungen in »Change it« und warum? 

Mit jeder der 21 Anstiftungen aus »Change it« wagen wir den Versuch, Wissen aus der Welt des Geschichten Erzählens auf die Gestaltung der Wirklichkeit anzuwenden. Und jede davon beginnt mit einem C. C wie Change. Besonders ans Herz gewachsen sind uns C wie Contrast, Correspondence und Crisis. Contrast handelt davon, dass Veränderung immer das Aufeinanderprallen von Polen bedingt: Neu und Alt, Chaos und Ordnung, etc. Und Geschichten lehren uns, dieses Aufeinanderprallen aktiv zu managen und dramaturgisch zu gestalten. Correspondence bezieht sich auf das Wechselspiel von Wirklichkeit und Abbild, Terrain und Landkarte, oder eben Fakt und Fiktion. Um Wirksamkeit zu entfalten, müssen wir wieder lernen, die beiden Gegensätze enger zu verzahnen, d.h. die Geschichte immer wieder an die Realität anzupassen. Und Crisis betrachtet die Krise als narratives Element. Für Storytellers ist sie kein langanhaltender depressiver Zustand, sondern die ultimative Verdichtung eines Konflikts, die einer harter Entscheidung einschließlich eines großen Opfers bedarf. Läuft Luke Skywalker zur dunklen Seite der Macht über oder stürzt er sich in die Tiefe?

Drei Gründe, warum ich Euer Buch lesen sollte?

Zu unserer Überraschung gibt es kaum Texte zur Schnittstelle von Storytelling auf der einen und den Theorien zur Gestaltung der Welt auf der anderen Seite – egal ob Change Management, Unternehmertum-Theorien oder politische Philosophie. Dabei handelt es sich um eine unglaublich fruchtbare Liason. Sie lehrt uns, erstens besser zu kommunizieren, zweitens unsere Umwelt und unsere eigenen Leben effektiver und mit mehr Freude mitzugestalten, und drittens auch besser zu werden im Fabulieren – ganz egal ob es sich bei der Zielgruppe um die Belegschaft, das Kinopublikum, die Wählerschaft oder das eigene Kind handelt.

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