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Von »Liberté, Egalité, Fraternité« über das »Wirtschaftswunder« bis hin zur berühmten Geschichte vom »Tellerwäscher bis zum Millionär«: Starke Narrative halten seit jeher Gesellschaften zusammen. Und sie haben in einer Zeit, in der kaum mehr etwas planbar scheint, so der Kommunikationsprofi und Forscher Bernhard Fischer-Appelt, noch viel Potenzial: Sie können in Zeiten von Doomism und Fake News einen Raum für echte gesellschaftliche Veränderung öffnen. Im Interview mit dem Murmann Magazin erläutert der Autor des jüngst erschienenen »Storyverse Playbooks«, wie gute Zukunftsnarrative aussehen, wie sie Wirkung entfalten und welche Rolle dabei ein kohärentes »Storyverse« spielt.

Du hast von 2018 bis 2021 an der Harvard University zum Thema Zukünfte geforscht. Was hat Dich dazu bewogen, für mehrere Jahre aus dem operativen Geschäft in die Forschung zu wechseln?

Ich habe schon immer für das Thema »Zukünfte« gebrannt. Einerseits weil ich das Gefühl habe, dass wir uns in Deutschland schwertun, optimistische Zukunftsszenarien zu entwerfen und lieber im klassischen Planungsmodus unterwegs sind. Andererseits, weil ich das Thema für unterforscht halte. Zwar gibt es ganze Zweige der empirischen Zukunfts-, Trend- und Risikoforschung, die Stoßrichtung dieser Forschungsbereiche ist aber eher, die Zukunft kontrollier- und einhegbar zu machen. Mir geht es vielmehr darum, verschiedene Zukünfte zu explorieren und mit fiktionalen, also noch unmöglichen Szenarien zu arbeiten. Gerade daraus können sehr gut Strategien entwickelt werden. Wir müssen Zukünfte also im Plural denken. Sich diesen Fragen über drei Jahre intensiv zu widmen, ist ein großes Privileg.

Was bewirken diese Zukunftsnarrative?

Es reicht nicht aus, die Zukünfte in ihrer Pluralität zu imaginieren – wer etwas verändern will, muss auch ins Handeln kommen. Denn Zukünfte sind nic2ht nur passive Planszenarien, sondern Möglichkeitserzählungen – selbst, wenn sie völlig utopisch sind, geben sie kollektiv Orientierung. Ein Klassiker, insbesondere in den Vereinigten Staaten, ist »vom Tellerwäscher zum Millionär«. Eine – aus empirischer Perspektive – höchst unwahrscheinliche Geschichte, die aber trotzdem für eine ganze Gesellschaft identitätsstiftend wirkt. Eine ganze Volkswirtschaft bedient sich diesem Narrativ – und bewirkt so allein durch dieses narrative Muster konkrete Veränderung. Eine Zukunftsstrategie ist deshalb nur dann erfolgreich und resilient, wenn sie ein emotionales Echo erzeugen kann. Kurz: Es ist wichtig, das eigene Storyverse möglichst gut zu kennen und die verschiedenen Narrative möglichst durchdacht bespielen zu können.

Stichwort »Storyverse«. Was genau ist damit gemeint?

Schon der Philosoph Ludwig Wittgenstein war sich sicher, dass „die Grenzen meiner Sprache die Grenzen meiner Welt“ bedeuten. Seit Anbeginn der Geschichte erzählen wir uns Geschichten, erst in Form von Höhlenmalereien, dann am Lagerfeuer, gestern auf Twitter, morgen vielleicht im Web 3.0. Aus diesen vielen Erzählungen entsteht eine Ordnung: Eine Idee davon, wie wir die Welt verstehen. Wie im Universum, wo es auch eine gewisse Ordnung aus Sternenbildern, Planeten und Monden gibt. Diese Ordnung ist ein wesentlicher Teil von Dir und von Deiner Organisation – und kann Strahlkraft haben und die Glaubhaftigkeit steigern, aber auch Vertrauenskrisen auslösen und vom Kurs abbringen. Deshalb ist es unerlässlich, sich mit dem eigenen narrativen Kosmos auseinanderzusetzen und für Kohärenz und Transparenz zu sorgen.

Was passiert, wenn unser »Storyverse« nicht kohärent gedacht und kommuniziert wird?

Unter narrativen Dissonanzen leidet vor allem die Glaubwürdigkeit und die Reputation. Wer wie Elon Musk für Zukünftigkeit steht, dann aber der Twitter-Idee den Stecker zieht, ohne eine neue zu haben, wird unglaubwürdig. Wer sich zwischen kommerziellen Interessen und gesellschaftlicher Haltung verzettelt wird ebenfalls unglaubwürdig. Deshalb kommen auch Unternehmen gar nicht mehr umhin, sich ernsthaft mit narrativen Strategien zu befassen.

Die Potenzierung von Kommunikation durch digitale Medien hat gerade in den letzten drei Jahren auch zu einer Potenzierung von zweifelhaften Verschwörungsnarrativen geführt. Wie können wir diesem Trend entgegenwirken?

Ja, in der Tat hat die Sichtbarkeit von Verschwörungserzählungen insbesondere während der Corona-Pandemie zugenommen. Neu waren allerdings die wenigstens dieser Erzählungen – Reichsbürger gibt es in Deutschland schon lange, die Erzählung von der flachen Erde ist fast so alt wie die Erde selbst und die Weltverschwörung begleitet uns auch schon spätestens seit Beginn des 20. Jahrhunderts. Ich will hier gar nicht so sehr darauf eingehen, wie wir mit solchen Erzählungen umgehen. Eins haben aber all diese Verschwörungsmythen gemein: Sie bedienen eine pessimistische, fast schon apokalyptische Erzählung der Zukunft – die darüber hinaus schon fest vorbestimmt scheint. Umso wichtiger ist es aus meiner Sicht, dass wir für einen echten Aufbruch selbst anfangen, unsere Zukünfte zu klären, daraus sinnstiftende Narrative ableiten und so das Heft des narrativen Handelns selbst in die Hand zu nehmen, statt uns von Untergangserzählungen leiten zu lassen. Mein neues Buch ist ein praxisorientierter Wegweiser für Menschen, die echte Veränderung bewirken wollen – ein Buch für die nächste Generation.

Sprechen wir über Positivbeispiele. Wie sieht ein besonders spannendes »Storyverse« aus?

Als wir das Beispiel mit dem Verlag besprochen haben, haben wir zunächst in fragende Gesichter geblickt: Milch. Spätestens seit der Gründungsgeschichte von Rom, bei der die Säuglinge Romulus und Remus von einer Wölfin tranken, steht fest: Milch ist Ursprung des Lebens. Heute verändern sich Ernährungsgewohnheiten, die grüne Transformation macht auch vor dem Klassiker der Frühstücksgetränke nicht halt. Und Unternehmen reagieren darauf vollkommen unterschiedlich: Oatly setzt radikal auf Pflanzenmilch, die Bauerngemeinschaft Hamfelder Hof fokussiert sich auf biologische und regionale Produktion und wieder andere entwickeln synthetische Milchprodukte aus dem Labor. Die Milch, auch die von der Kuh, hat viele gute Zukünfte. Oder bei der Wurst, bei der die Rügenwalder Mühle vegane und tierische Produkte unter einem Markendach anbietet und damit das »es wird gegessen, was auf den Tisch kommt«-Narrativ ersetzt durch »Alles-an-einem-Tisch«.

Du bist Mitgründer der Agentur fischerAppelt. Inwiefern spielt das Thema Narrative im klassischen Agenturalltag eine Rolle?

Aus meiner Sicht findet hier ein Paradigmenwechsel statt. Während früher vor allem in Slogans gedacht worden ist, braucht es heute kommunikative Nordsterne – die Narrative. Sie sind viel fluider, aber auch wirkmächtiger. Sie müssen sich viel stärker im gesellschaftlichen Diskurs beweisen als ein Slogan, weil sie eben auch Subjekt und Objekt gesellschaftlicher Veränderungen sind. Und ganz wichtig: Narrative haben deutlich mehr transformatives Potential. Während ein Claim oft eine meist schon vorhandene Idee bekanntmachen soll, öffnet das Storyverse Möglichkeitsräume für die Zukunft. Wenn ich ehrlich sein darf: Mir macht die Arbeit mit Narrativen auch einfach unglaublich viel Spaß.

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