Wer sich mit Innovation in der Medienbranche beschäftigt, kommt an Eva Schulz nicht vorbei: Sie schrieb ihre Abschlussarbeit zu eben jenem Thema, experimentierte sehr früh mit Journalismus auf Snapchat und moderiert nun Deutschland3000, das zum Portfolio des öffentlich-rechtlichen Jugendangebots Funk gehört. Dass sie Ende September beim scoopcamp, der Innovationskonferenz für Medien in Hamburg, durch den Tag führen wird, ist da nur schlüssig.
In unserem Interview erklärt Eva Schulz, warum sie einen Viralitätshebel bewusst nicht nutzt, wie die Medienbranche heute auf Trends reagiert und welche Innovation sie sich persönlich wünscht.
Eva, du moderierst Deutschland3000, ein sehr meinungsstarkes Format, das aktuelle und gesellschaftlich relevante Themen für jüngere Menschen beleuchtet. Gibt es aber nicht gerade online schon sehr viel Meinung, man möchte fast auch sagen: zu viel?
Es gibt online so viel Meinung, weil sie in diesem Internet und insbesondere in den sozialen Netzwerken so gut funktioniert. Der Unterschied von Deutschland3000 zu anderen Formaten ist: Ich blöke nicht einfach irgendeine Meinung raus, ohne sie argumentativ zu untermauern. In jedem Video steckt sehr viel Recherche – darauf basiert alles, was ich sage und auch die Haltung, die ich einnehme.
Also sind Argumente der USP gegenüber anderen Online-Meinungsformaten?
Die Argumente und das Spektrum an jungen Stimmen, die wir versuchen, abzubilden, sind ein Unterscheidungspunkt. Außerdem bin ich eine Frau. Es gibt bisher leider nur wenige Frauen, die sich öffentlich politisch äußern, zumal im Bewegtbild. Und dann schaffen wir es auch noch, echte Debatten auszulösen. Insbesondere bei Facebook überrascht es mich ehrlich gesagt immer wieder, wie konstruktiv, aber auch divers dort kommentiert und diskutiert wird. Wir haben da ein hervorragendes Community Management und seit dem Start von Deutschland3000 im Sommer 2017 auch viel über die Plattform und ihre Mechanismen gelernt.
Nach genau diesen Mechanismen von Facebook und Co. richten sich viele Medien in ihrer Content-Erstellung. Könnt ihr und andere Medien dann wirklich selbst noch innovativ sein, wenn die Messlatte schlussendlich die algorithmischen Präferenzen der Plattformen sind?
Wenn ich nur machen würde, was Facebook gerne hätte, würde ich jede Woche einen Rant veröffentlichen. Das ist der einfachste Viralitätshebel auf Facebook – Hysterie und Wut. Ich bin aber gar kein wütender Mensch, das heißt, wir mussten schon in der Entwicklung andere Hebel für uns finden. Zugegeben, ich würde keine 20-Minuten-Reportage auf Facebook veröffentlichen. Aber die Themen auch in einer gewissen Kürze rüberzubringen, sehe ich als journalistische Herausforderung. Durch das Feedback in den sozialen Netzwerken erfahren wir von den Usern ja auch, wie sie was sehen wollen. Dass Journalismus im Digitalen nun dieses Feedback bekommt, halte ich für einen ganz guten Realitätscheck.
Deutschland3000 findet im Rahmen von Funk, dem neuen dezentralen Online-Angebot der öffentlich-rechtlichen Sender, statt. Merkt der User eigentlich, dass diese Dachmarke Funk existiert?
Ganz am Anfang war es sicher auch die Strategie, den Usern neben den zahlreichen neuen Formatnamen und Gesichtern nicht auch noch das Senderlogo einbläuen zu wollen. Zumal Funk die 14- bis 29-jährigen anspricht – das ist ein sehr diverses Publikum, das man genauso wenig vor einem klassischen Fernsehsender versammeln könnte wie jetzt unter einer einzigen Online-Marke. Daher haben wir mit über 60 Formaten ganz unterschiedliche spitze Zielgruppen, die wir ansprechen. Inzwischen kennen die Marke Funk aber schon ziemlich viele Leute.
Das ist ein durchaus innovativer Schritt. Wie beurteilst du denn die Innovationsbereitschaft in der deutschen Medienbranche generell?
2013 habe ich meine Abschlussarbeit über „Innovation im öffentlich-rechtlichen Fernsehen und wie sie verhindert wird“ geschrieben. Das war ziemlich deprimierend… Aber gerade in den vergangenen Jahren hat sich dort viel geändert.
Und mit Blick auf die gesamte Medienbranche?
Ich glaube schon, dass Redaktionen jetzt gelernt haben, wie wichtig Innovation ist und dass Stillstand in dieser sehr schnellen Medienwelt nicht funktioniert. Durch die Branche hinweg gab es immer wieder kleinere und größere Innovationstrends: Da wurden Innovation Task Forces gegründet, auf einmal musste jeder Scrollytelling-Reportagen produzieren oder mit Livestreams experimentieren. Eine Zeit lang stürzten sich alle immer sehr schnell auf die nächste Plattform oder das nächste vermeintlich große Ding. Das hat ganz schön Nerven und natürlich auch viele Ressourcen gekostet. Mittlerweile haben sich die Strategien geändert.
Inwiefern?
Die Medienmacher schauen sich Trends mit mehr Abstand an und entscheiden dann strategischer, was für sie vielversprechend ist. Denn neben Print auch online mit Video, Audio und zusätzlichen Experimenten präsent zu sein, erzeugt einen großen Druck insbesondere auf mittelgroße Redaktionen, die das Tagesgeschäft sowieso schon nur mit Ach und Krach stemmen können.
Zu einem dieser großen Hypes, mit dem Redaktionen experimentiert haben, gehört auch Snapchat. Du hast schon früh mit Journalismus auf der Plattform experimentiert.
Ja, ich habe für Funk das Snapchat-Format „Hochkant“ mitentwickelt und fand es auch richtig gut, dass damals – also 2015, 2016 – so viele Medienhäuser mit Snapchat experimentiert haben. Zum einen, weil sie sich damit auf eine junge Zielgruppe eingelassen haben. Und zum anderen, weil Snapchat das erste Medium war, in dem Bewegtbild im Vertikalformat erzählt wurde. Damit konnten Redaktionen Know-how aufbauen für den Moment, in dem die nächste Plattform es zum Mainstream machen würde. Das ist dann kurze Zeit später mit Instagram passiert.
Da du mit dem scoopcamp eine Innovationskonferenz für Medien moderierst, muss ich diese Frage natürlich noch stellen: Was ist die größte Innovation, die uns jetzt bevorsteht, speziell im Journalismus?
Ich fände es ganz persönlich ja schon innovativ, wenn wir uns alle ein bisschen mehr Zeit nähmen, um uns eine Meinung zu bilden, bevor wir sie rausblasen, und uns nicht mehr so sehr von der vermeintlichen Schnelllebigkeit des Netzes unter Druck setzen ließen. Wie schaffen wir es, digitale Debatten nachhaltiger und gesünder zu gestalten? Dafür wünsche ich mir eine Innovation – und bin gerade selbst noch auf der Suche.
Murmann Magazin ist Medienpartner der Innovationskonferenz scoopcamp, die am 27. September 2018 im „Theater Kehrwieder“ in der Hamburger Speicherstadt stattfinden wird.
Titelbild: Laura Müller Photography für nextMedia.Hamburg