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Völlig unabhängig davon, ob man Apple-Jünger, Apple-Abhängiger oder Apple-Verächter ist, das iPhone hat unser aller Leben oder mindestens – wenn wir selbst dagegen hielten – das unserer Kinder substanziell verändert. Die gesamte Art der Kommunikation, der Gemeinschaft, des Austausches, des Ticketings, des Datens, des Mobbens – kurz der Interaktion – ist neu, anders, unerwartet und auf jeden Fall nicht mehr so, wie es vorher war.

In der Rückschau wird die Einführung des Apple-Smartphones ein entscheidender Wendepunkt in der jüngeren Geschichte sein. Im Drama der Menschheitsgeschichte ein Moment, der sich angebahnt hat und gesellschaftlich einen unumkehrbaren Wandel herbeigeführt hat. Aristoteles hat in seiner Poetik einen Begriff für solche Momente eingeführt: Die Peripetie – die übrigens gerne mit der Anagnorisis zusammen auftritt – eine plötzliche Erkenntnis des Helden, bei der er sich meist im Anschluss fragt, warum er nicht schon längst auf die Lösung gekommen war, sie ihm nicht schon lange vorher einfiel. Diese Frage stellten sich übrigens auch hunderte Wissenschaftler, als ein junger Angestellter des schweizerischen Patentamtes einen kurzen Artikel unter dem Namen „Zur Elektrodynamik bewegter Körper“ veröffentlichte. Sein Name war Albert Einstein und der Artikel schmiss praktisch das komplette physikalische Weltbild seiner Zeit über den Haufen. In der Wissenschaftsgeschichte rückblickend eine Peripetie erster Güte.

Auf der Suche nach der Peripetie

Immer wieder kommt es in der Erzählung der Geschichte der Menschheit zu diesen Momenten. Sie lassen sich nicht erzeugen. Sie entstehen. Immer bahnen sie sich lange an, werden fast unvermeidlich und dennoch sind auf einmal alle überrascht, wenn sie da sind. Sie tauchen auf einmal auf, irgendwie unerwartet und doch erwartet, sie lösen das Vorher auf und verändern das Nachher für immer. Sie sind die Momente, die die Geschichte spannend, besonders und faszinierend machen. Und sie sind selten. 1905 hat Einstein seine Zeilen verfasst, 2007 ist das iPhone erschienen. Das soll nicht heißen, dass das in der Zeit die einzigen Peripetien waren – im Gegenteil. Doch etwas anderes fällt auf: Die Zahl der Peripetien wächst, ja man hat fast den Eindruck, als ob eine neue Sehnsucht und Suche entstanden ist, die Sehnsucht, die nächste Peripetie zu schaffen. Warum sollten sonst Tausende von Start-ups versuchen, diese nächsten Momente zu erschaffen? Die technische Leistungsfähigkeit wächst in einem atemberaubenden Tempo, was gestern noch Science Fiction war, ist heute schon Normalität, plötzlich reden wir mit unseren Telefonen und ergänzen unsere Realität mit Augmented Reality und finden das zwei Wochen später normal. Die Veränderung – und zwar die grundlegende, also die Peripetie – ist zum Prinzip geworden. Unaufhaltsam und beängstigend, und gleichzeitig wie eine Sucht. Es ist das Peripetie-Prinzip, das unsere Zeit kennzeichnet und dessen Dynamik und Ergebnis unabsehbar ist.

Bei Aristoteles war es gern die Katastrophe, die am Ende des Stücks bevorstand, in der modernen Dramentheorie kann es auch schon mal das Glück sein. Oder mindestens das Glücksversprechen. Das dann aber doch wieder in die Katastrophe führen kann. Wer weiß schon, ob das Individualisierungsversprechen der Gesichtserkennung im neuen iPhone X das Potential zu einer solchen Peripetie enthält?

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