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Das Jahr geht zu Ende und doch haben Sie von den über 80.000 Neu- und Erstauflagen wahrscheinlich nur einen Bruchteil gelesen. Welche der Neuerscheinungen 2018 sollten Sie jetzt noch unbedingt lesen? Wir haben vier Empfehlungen für Sie, je nach Typ und Gemütslage: „Die Wahrheit über das Lügen“ von Benedict Wells, „Der Zopf“ von Laetitia Colombani, „Der Platz an der Sonne“ von Christian Torkler und „Gebrauchsanweisung für das Internet“ von Dirk von Gehlen.

Benedict Wells: Die Wahrheit über das Lügen (Diogenes)

Normalerweise liefert Benedict Wells mit seinen Büchern eine große Geschichte – wie bei seinem Debütroman „Becks letzter Sommer“ oder dem vielgelobten und vielgelesenen „Vom Ende der Einsamkeit“. Zwischen den Buchdeckeln von „Die Wahrheit über das Lügen“ verstecken sich diesmal aber gleich zehn Kurzgeschichten. Benedict Wells entführt in unterschiedliche Momente menschlichen Lebens – von einer Schriftstellerin, die eine enge Beziehung zu ihrer Muse aufbaut bis zur Offenbarung des Mannes, der dank einer Zeitreise zum neuen Star-Wars-Schöpfer wurde.

Nicht nur aufgrund der Länge von rund 70 Buchseiten ist diese Geschichte das Herzstück des Buchs; sie zeigt auch eindrücklich das schriftstellerische Vermögen von Benedict Wells: Das Kulturgut Star Wars als Ausgangspunkt für eine Was-wäre-wenn-Geschichte zu nehmen, gespickt mit den persönlichen Höhen und Tiefen seines Zeitreisen-Schöpfers, ist so unterhaltsam wie hintergründig. Man bekommt geradezu Lust, die wahre Geschichte der Star-Wars-Entstehung an anderer Stelle nachzulesen. Gleichzeitig tut es der Gattung der Kurzgeschichten gut, mit Benedict Wells einen populären Autoren gefunden zu haben, der sie wieder einmal auf die Bestsellerliste bringt. Die Faszination für kürzere Erzählungen jenseits einschlägiger Literaturwettbewerbe könnte mit Wells wieder entfacht werden, bietet sie doch in unserem stressigen Alltag die Möglichkeit, in wohldosierten Häppchen zu lesen.

Laetitia Colombani: Der Zopf (S. Fischer)

Wenn ein Roman „Der Zopf“ heißt, liegt die Vermutung nahe: In dem Buch geht es um Verflechtungen. Wie jedoch die Leben der drei Frauen, die im Zentrum des Titels stehen, zusammenhängen, offenbart Autorin Laetita Colombani Stück für Stück (oder: Kammzug für Kammzug): Smita lebt mit Mann und kleiner Tochter in Indien und gehört zu den Dalit, unreinen, ausgestoßenen Menschen, mit geringen Chancen auf gesellschaftlichen Aufstieg. Sie verdient ihr Geld damit, die Fäkalien-Töpfe der Höhergestellten zu leeren. Damit ihre Tochter nicht das gleiche Schicksal ereilt, will Smita mit ihrer kleinen Familie aus dem aussichtlosen Leben fliehen. In Sizilien entdeckt Giulia, dass die Perückenfabrik ihres Vaters, der im Krankenhaus liegt, kurz vor dem Ruin steht. Und die Karrierefrau Sarah, die sich mit drei Kindern und ohne Mann dem täglichen Kampf im Haifischbecken der kanadischen Anwaltskanzlei stellt, erhält die Diagnose Krebs.

Ist dieser inhaltliche Grundstein erst einmal gelegt, wird der nahende Schnittpunkt von Smita, Giulia und Sarah recht schnell absehbar. Doch bis dahin versteht es Autorin Laetita Colombani geschickt, die drei Frauen die Hindernisse ihrer Kulturen bewältigen zu lassen. Dabei erreicht „Der Zopf“ nicht die Komplexität von Episodenromanen wie „Cloud Atlas“, doch sorgt mit seinen thematischen Verknüpfungen innerhalb der drei erzählten Leben für eine kurzweilige und leicht lesbare Lektüre mit herzlichen Figuren.

Christian Torkler: Der Platz an der Sonne (Klett-Cotta)

Was wäre, wenn der Kalte Krieg nicht so kalt geblieben wäre, wie er es realgeschichtlich gewesen ist? Sagen wir, bei der Berliner Luftbrücke hätte sich ein Angriff ereignet, Sowjets hätten eine amerikanische Maschine angegriffen, die wiederum den russischen Jäger abgeschossen hätte – und plötzlich eskaliert alles. Ein weiterer, großer Krieg nimmt seinen Lauf und die Welt mitsamt ihrer Ordnung ist eine andere. Das ist die historische Abzweigung, der Christian Torkler sein „Der Platz an der Sonne“ zugrunde legt. Darin nämlich ist Afrika der gelobte, reiche, unzerstörte Kontinent, der Sehnsuchtsort vieler Europäer. Josua Brenner, der Protagonist, wird jedoch 1978 im ärmlichen Berlin, der Hauptstadt der Neuen Preußischen Republik, geboren. Er wächst auf mit staatlicher Willkür und Gewalt, autoritärer Staatsführung und Korruption. Trotzdem bleibt und wächst mit ihm eines: die Hoffnung. Auf Veränderung und politischen Wandel, unterstützt durch die „Bongos“, wie er die reichen Afrikaner kollektiv nennt. Bis verschiedene Schicksalsschläge jeden Optimismus aus ihm vertreiben und die Flucht folgt – seinem Kumpel Roller hinterher, ins gelobte Land, mit dem Ziel Matema – mit Schleppern, über Berge, Weggefährten verlierend, in Angst vor den Grenzkontrollen lebend.

Gerade jener zweite Teil des Buches, der Josuas Flucht in den Blick nimmt, hält den vorschnell urteilenden Europäern den Spiegel vor das Gesicht: Wie können wir so leichtfertig und abwertend von „Wirtschaftsflüchtlingen“ sprechen und dabei aus den Augen verlieren, dass eine Flucht vor der lahmenden Wirtschaft oft genug mit persönlicher Armut und politischem Missmanagement, mehr noch: Versagen einhergeht? Torkler gelingt es eindrücklich, ein Szenario zu beschreiben, das die Was-würde-ich-tun-Frage genauso wie die Hatten-wir-damals-ein-Glück-Feststellung wie ein permanentes Damokles-Schwert über der Lektüre schweben lässt.

Dirk von Gehlen: Gebrauchsanweisung für das Internet (Piper)

Wenn Sie diese Zeilen lesen, sind Sie im Internet. Ein Ort, der von vielen Digital Natives so selbstverständlich besucht wird wie der Nachbarort, wenn nicht sogar noch häufiger und routinierter. Mit seiner „Gebrauchsanweisung für das Internet“ liefert der Journalist und Autor Dirk von Gehlen vor allem jenen Hintergründe für diesen speziellen Ort, die zu den Digital Immigrants gehören, also nicht mit dem Internet aufgewachsen sind, oder solchen Digital Natives, die bisher wenig Kenntnis über die dahinterliegenden Strukturen und Debatten haben. Natürlich geht es im Buch um soziale Netzwerke und die Macht einzelner großer Tech-Konzerne, aber auch um die physische Grundstruktur des Internets. Gerade bei letzterem hätte jedoch die ein oder andere Grafik gut getan, um die Architektur des Internets greifbarer und nachvollziehbarer zu machen.

Wer schon mehr von Dirk von Gehlen gelesen hat, wird Bezüge zu bereits behandelten Themen – etwa gegen-die-panik.de oder den Shruggie – wiederentdecken, was aber nicht stört. Dirk von Gehlens „Gebrauchsanweisung für das Internet“ ist ein guter Startpunkt für all jene, die eine Übersicht über einen der wichtigsten Orte der Gegenwart erhalten wollen und um mit einem wissenderen Gefühl die Weiten des Internets zu entdecken.

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