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Es gibt diese Bücher, bei deren Lektüre man ein gutes Gefühl hat. Weil sie eine ungewöhnliche Perspektive einnehmen, Neues erzählen und zum Denken anregen. All das trifft auf diese drei Neuerscheinungen aus dem Jahr 2018 zu: „Das Pragmatismus-Prinzip“ von Dirk von Gehlen (Piper), „Die Gabe“ von Naomi Alderman (Heyne) und „Was zu dir gehört“ von Garth Greenwell (Hanser). Unsere Rezensionen nehmen also gleichermaßen neue Sachbücher und frische belletristische Titel in den Blick. Unser Versprechen: Diese Neuerscheinungen haben etwas zu sagen!

 

Dirk von Gehlen: „Das Pragmatismus-Prinzip

Um auf der Website des norwegischen Rundfunks einen Kommentar zu hinterlassen, muss der User die Textkenntnis des zu kommentierenden Beitrags unter Beweis stellen – wütendem und wüstem Kommentieren könnte so Einhalt geboten werden. Für Dirk von Gehlen, Autor und Leiter der Abteilung Social Media/Innovation bei der Süddeutschen Zeitung, ist dies eines der Beispiele, „das eine der zentralen Ideen des Pragmatismus-Prinzips durchsetzt: Erst verstehen, dann bewerten.“

„Das Pragmatismus-Prinzip“ versteht sich – anders als andere Bücher, die das Wort ‚Prinzip‘ im Titel tragen – nicht als Masterplan für etwas, sondern als Impulsgeber. Für das Nachdenken, für eine Haltung, die kritisch aber nicht per se negativ ist. Dirk von Gehlen selbst nennt es ein „Handbuch der Hoffnung. Es ist eine Hoffnung, die sich nicht im Widerspruch zur Ratlosigkeit begreift, sondern als deren Folge.“ Denn Ratlosigkeit, so von Gehlen, ist nicht das Problem, sie öffnet den Horizont für neue Perspektiven und somit Lösungen. Viele mögen sich hierbei an die New-Work-Philosophie erinnert fühlen, Stichwort Fehlerkultur. Im Buch wird diese Haltung u. a. mit Karl Popper und seinem kritischen Rationalismus untermauert, aber eben auch mit dem auf dem Cover abgebildeten Shruggie. Dieses Emoticon mit seinem freundlichen Lächeln – trotz (oder wegen) dessen hochgezogenen Schultern – ist ein Leitbild, das sich nicht nur durch von Gehlens Buch zieht, sondern dem geneigten Internetnutzer bekannt sein dürfte.

Wohl jene digitalaffinen, aufgeschlossenen Menschen werden auch diejenigen sein, die dieses Buch zur Hand nehmen. Auch, wenn gerade jenen, die dem Neuen nicht so offen gegenüberstehen, die Lektüre ans Herz gelegt werden darf. „Das Pragmatismus-Prinzip“ regt dazu an, seine eigenen Denk- und Verhaltensmuster zu hinterfragen und greift dabei immer wieder auf unterhaltsame wie einleuchtende Beispiele zurück – eine kurzweilige, ausgesprochen kluge Lektüre.

 

Naomi Alderman: „Die Gabe

Sind Frauen die besseren Menschen? Naomi Aldermans Roman „Die Gabe“ gibt ihnen die Möglichkeit, genau das unter Beweis zu stellen: In Aldermans Welt wächst bei Mädchen und Frauen unter dem Schlüsselbein ein Strang, der mit elektrischer Spannung geladen ist. Über die Hände kann diese – freiwillig wie unfreiwillig – abgegeben werden. Mal kämpfen die Protagonistinnen mit den Tücken, mal nutzen sie aber auch die Chancen: Da wäre etwa die jugendliche Jocelyn, der es schwerfällt, ihre neuen Kräfte zu kontrollieren und zudem durch die politischen Ambitionen ihrer Mutter zunehmend im öffentlichen Fokus steht. Oder Allie, die sich zu einer Sektenführerin aufschwingt, die Frauen weltweit vom Glauben an die Göttin überzeugen kann, Events mit medienwirksamer Heilung eines gebrochenen Rückgrats inklusive – und natürlich wurde der betroffene Junge nach Telegenität ausgewählt.

Es sind gerade diese augenzwinkernd bis bitter ironisch wirkenden Details, der eingeflochtene Blick auf die Mechanismen unserer Gegenwart, die „Die Gabe“ zu einem lesenswerten Buch für das Frühjahr machen. Dass es für die weibliche Macht eines neuen Organs bedarf, mag aus feministischer Perspektive traurig machen, narrativ sorgt das körperliche Zusatzfeature jedoch für die Umkehrung von Gleichstellungstellungsfragen: In einem weiblich regierten Land werden Gesetze erlassen, die Männern das Wählen verweigern. Und sogar das Autofahren. Sicher ist: Die Frauenfiguren im Buch wissen, wie sie die Männer treffen können, auch ohne Elektrizität.

 

Garth Greenwell: „Was zu dir gehört

Es gibt sie noch: Die Liebesgeschichten, die nicht vor plumper Romantik dahintriefen, sondern von Verlangen, Macht und eben Zuneigung erzählen. Denn der namenslose Erzähler lernt den Bulgaren Mitko in dessen Heimatland kennen, bezahlt ihn zunächst für Sex – und findet sich dann „zwischen Begierde und Distanz“ wieder, wie er selbst feststellt. Denn anders als Mitko hat der amerikanische Expat Geld. Geld, das ihm Zuneigung und Lust ermöglicht, aber eben nicht den richtigen Weg zeigt. Der Erzähler selbst nennt es „eine Ambivalenz in mir, die mich erst in die eine, dann in die andere Richtung treibt“.

Dieses Sich-treiben-lassen zieht sich wie ein roter Faden durch Garth Greenwells Geschichte – der Leser folgt dem oft ziellos wirkenden Erzähler durch sein privilegiertes Leben in einem der ärmeren europäischen Länder, ohne dabei über die gängigen Klischees des Genres stolpern zu müssen; lediglich eine ge- bzw. zerstörte Beziehung zum Vater hakt der Autor auf der Checklist der Must-haves schwuler Romane ab. Es ist eine im besten Sinne dahingleitende Lektüre, die uns am Leben und Lieben des Erzählers teilnehmen lässt, ohne dabei die vermeintlich richtigen Antworten zu kennen und zu liefern.

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