Es ist wieder soweit: Viele von uns packen dieser Tage ihre Koffer, um bei möglichst schönem Wetter mit möglichst netten Menschen eine möglichst erholsame Urlaubszeit zu verbringen. Urlaub bedeutet Freizeit vom Gewöhnlichen, von der alltäglichen Routine. Wesentliche Charakterzüge unseres Lebensalltags sind Zeitmangel, Reizüberflutung, Schnelllebigkeit und Beschleunigung. Verbunden mit der weit verbreiteten Erwartungshaltung des always online staut sich ein riesen Berg an Druck und Belastung auf, der nun in der Urlaubszeit so schnell wie möglich abgebaut werden muss, damit wir überhaupt die Chance erhalten, in einen Ferienflow zu gleiten. Wer oder was kann uns dabei helfen, runterzufahren, zu entspannen, dem Alltag zu entkommen? Ein gutes Buch!
Von Viellesern und Buchaussteigern
Laut einer aktuellen GFK- Studie, die vom Börsenvereins des deutschen Buchhandels in Auftrag gegeben wurde (Zugang nur über Mein Börsenverein als Mitglied), steht das Bücherlesen überwiegend für Entspannung, Rückzug und Eintauchen in andere, neue, fremde Welten. Den Viellesern unter uns erzähle ich nichts Neues. Sie werden den Bücherstapel schon fürs Packen zurechtgelegt haben oder den Download auf das Lesegerät vorbereitet oder durchgeführt haben. Die Nichtleser oder genauer die Nichtbuchleser werden sich mit den wichtigsten Serien versorgen.
Unter den Nichtbuchlesern ist eine besonders interessante Gruppe die der Buchaussteiger. Sie liest weiterhin viel – aber anders: Online, Nachrichten, Blogs, verlinkte Informationen, Textmessages. Unter diesen Nichtbuchlesern belaufen sich laut obiger Studie 8,9 Millionen auf diese Buchaussteiger, also Menschen, die früher Bücher gekauft und gelesen haben und seit 2016 keine Bücher mehr kaufen. Ökonomisch trifft es unsere Branche hart, denn zugleich sind nur 6,6 Millionen neue Buchkäufer hinzugekommen, so dass dem Buchmarkt netto 2,3 Millionen Käufer fehlen. Aber lassen wir die Ökonomie mal beiseite und nehmen den immateriellen Wert des Bücherlesens unter die Lupe. Die kulturelle Kehrseite dieser Medaille ist: Potentiell sind das 2,3 Millionen weniger Buchleser. Das Brisante und Aufschlussreiche an der GFK-Studie ist die qualitative Inblicknahme der Buchaussteiger. Denn auch in dieser Gruppe hat das Buch grundsätzlich einen emotional positiven Stellenwert, es findet schlichtweg seinen Platz nicht mehr im Lebensalltag dieser Gruppe.
Von Buchaussteigern zu Bucheinsteigern
Die Urlaubszeit, die geplante Absenz vom Alltag, wäre nun die Chance für die Buchaussteiger, wieder Bucheinsteiger zu werden, gerade vor dem Hintergrund, dass viele der befragten Nichtbuchleser nach wie vor eine Sehnsucht nach Entschleunigung haben und sich vorstellen können, diese wieder mit Bücherlesen zu stillen. So wie früher. Wann, wenn nicht jetzt? Reisen und Lesen, das sind doch Geschwister! Sollen wir Sie bis Weihnachten warten lassen – die Buchaussteiger? Was können wir tun, um sie zurückzuholen in unsere Welt der Achtsamkeit, der Vertiefung, der verzauberten Weltflucht des Bücherlesens, im Auto, im Zug, im Flugzeug, im Strandkorb, in der Hängematte?
Ein Gegner steht fest: die Serien. Serien wiegen nichts im Koffer und man kann sie im Urlaub zusammen schauen. Das Bücherlesen ist in der Tat eine individuelle Angelegenheit. Jeder liest sein eigenes Buch. Eigentlich ein kommunikativer Urlaubskiller. Da ist es doch viel schöner – wenn dies schon im stressigen Alltag nicht möglich ist – dass Freunde und Familie sich im Urlaub um eine Serie herumgruppieren. Alle haben Zeit, alle genießen zugleich, alle reden mit, alle freuen sich gemeinsam auf die nächste Folge, am nächsten Abend.
Tja, liebes Buch – da hast du es wirklich schwer. Du musst so gut, so spannend, so inspirierend sein, dass der Funke überspringt und du den Serienkreis crashst oder zumindest für eine gewisse Zeit- und Aufmerksamkeitsspanne die Buchaussteiger zu Urlaubsbucheinsteigern machst. Wie kann das nur gelingen? Einer von uns muss das Glück und Geschick haben, ein richtig gutes Buch eingepackt zu haben – und dann gründet der einen Urlaubslesekreis. Und alle machen mit.
Titelbild: © Michaela Kuhn