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Ein Blick zurück zum 10. März 2020: Zwei Wochen, nachdem an gleicher Stelle mein Artikel über das Kuriositäten-Kabinett eines Bahn-Vielfahrers erschienen ist, sitze ich nach Feierabend im ICE. Das Ziel ist meine Heimat Kiel. Im Zug ist die Stimmung gedämpft, man hört Telefonate, in denen hektisch die nächsten Wochen im Home-Office geplant werden.

Auch mein Rucksack ist mit Tastatur, Maus und sonstigen Büromaterialien prall gefüllt. Ich fotografiere beim Ausstieg den Zugzielanzeiger und twittere: „Bis auf weiteres die letzte Fahrt mit meinem Feierabendzug. Pendlerleben pausiert vorerst.“ Aus vorerst werden letztendlich drei Monate Home-Office. Drei Monate in denen das Arbeiten dank cloudbasierter Infrastruktur, mobilem Arbeiten und einer Vielzahl an bereits eingesetzten Digitaltools reibungslos auch von daheim geschehen konnte. Doch für mich als Pendler waren es auch drei Monate mit weniger mit mehr Freizeit, aber auch ohne liebgewonnene Rituale und „Dehnungsfugen“ zwischen Arbeitsalltag und Privatleben.

Was nehme ich aus diesen drei Monaten im Home-Office mit und viel wichtiger: Wie geht es post-Corona für mich und viele andere Pendler weiter? Gedanken zum Pendler-Leben in Corona-Zeiten.

Mehr Zeit ohne Pendeln

Die Zeitersparnis auf dem Weg ins Büro liegt auf der Hand: Selbst bei einem durchschnittlichen Arbeitsweg von 40 Minuten pro Tag haben Arbeitnehmer am Ende der Woche gut drei Stunden mehr Freizeit. Für Fernpendler fällt diese Zeitersparnis noch stärker ins Gewicht: Statt um 5 Uhr klingelt der Wecker erst um 7 Uhr, statt um 19 Uhr sitzt man schon um 17:30 Uhr auf der Couch oder ist in die Sportschuhe geschlüpft – ganz ohne das Risiko von fremdverschuldeten Verspätungen. Die Zeitersparnis ist enorm – und es bleibt deutlich mehr Zeit für Freizeit und Privatleben. Ebenso entspannend: im Büro nicht mehr ab 16:30 Uhr konstant die Verspätungsmeldungen im Blick behalten zu müssen.

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Alles ist an seinem Platz!

Wichtigstes Accessoire im Leben eines Pendlers: ein gut ausgerüsteter Rucksack. Doch wenn es morgens schnell gehen muss, bleibt schnell mal das ein oder andere Ausrüstungsstück liegen. Netzteil vergessen? Heißt entweder umdrehen oder hoffen, dass der Akku volle acht Stunden durchhält – was er natürlich nicht tut. Schlüssel vergessen? Heißt hoffen, dass schon Kollegen im Büro sind und einem die Tür öffnen können. Und dann wäre da noch das Worst-Case-Szenario: Im Zug feststellen, dass der Laptop noch zuhause auf dem Küchentisch steht – und wissen, dass es ein sehr langer Tag werden wird. Im Home-Office spart man sich diese kleinen Nervenkitzel.

Es fehlen Rituale

Morgens immer Wagen 5, abends Wagen 13, freitags ein Weizenbier im Speisewagen – manche Routinen beim Pendeln nehmen fast neurotische Züge an. All diese kleinen Pfeiler im Alltag fallen im Home-Office zunächst weg. So fühlte sich gerade im März ein Freitag an wie jeder andere Tag in der Woche, das Abschalten fiel schwer. Zwar lassen sich auch im Home-Office Rituale antrainieren, die abendliche Joggingrunde erfordert aber deutlich mehr Disziplin als das freitägliche Weizenbier im Speisewagen.

Abstand gewinnen wird schwieriger

Es mag nicht auf den ersten Blick einleuchten, aber einer der größten Vorteile des Pendlerlebens ist die Distanz vom Arbeits- zum Wohnort. Orte, an denen man seine Freizeit verbringt, assoziiert man nicht im Entferntesten mit Arbeitsstelle oder Arbeitsweg – und genau diese räumliche Distanz schafft gleichzeitig eine emotionale Distanz zum Job. Meist ist schon im Zug den Stress des Arbeitstages vergessen, während man im Home-Office auch die eigenen vier Wände mit Stress oder Ärger auf der Arbeit verbindet. Raus aus dem Haus lautet da also die Devise, Kopf frei bei Wind und Wetter.

„Dehnungsfugen“ gehen verloren

Der Psychologe Stephan Grünewald vom Rheingold Institut nennt die Zugfahrt ins Büro und nach Hause „eine der wenigen Dehnungsfugen, die uns im Alltag bleiben“. Auf der Zugfahrt muss weder gearbeitet noch sich um den Haushalt oder ähnliche Verpflichtungen gekümmert werden. So bleiben pro Tag ein paar Stunden, um Gedanken schweifen zu lassen, kreativ zu werden oder einfach mal tatenlos herumzusitzen – ein Teil meines Alltags, den ich mittlerweile sehr zu schätzen weiß. Im Home-Office gehen diese wertvollen Minuten vollkommen verloren – so zumindest meine Erfahrung nach drei Monaten am heimischen Schreibtisch.

Wie weiter nach Corona?

Die Corona-Krise scheint offengelegt zu haben, dass das traditionelle Arbeitsmodell mit starren Anwesenheitszeiten im stationären Büro kaum mehr zeitgemäß ist – und Alternativen technisch und organisatorisch schneller als gedacht umgesetzt werden konnte. Warum also weiter seine Freizeit in verspäteten ICE statt auf der Couch verbringen? Für mich keine Entweder-Oder-Frage, sondern eine Chiffre für vieles, was wir aus der Corona-Krise lernen können. Statt dogmatischer Innovationshörigkeit gilt es, das Beste aus einer vermeintlich alten Welt – und das ist im Präsenzbüro der direkte Kontakt mit den Kollegen – zu konservieren und mit Aspekten von New Work zu ergänzen. Heißt konkret für mich (und vermutlich einige andere Pendler): Etwas weniger Bahnfahren, zwei bis drei Tage pro Woche im Home-Office – und die richtige Balance im neugestalteten Pendler-Leben finden.

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