Netflix ist längst zum Synonym für ausufernden Serienkonsum geworden und tut selbst einiges dafür, dieses Image zu pflegen: Mit Netflix-Original-Serien, also Eigenproduktionen von Netflix, will der Streaming-Anbieter die Kunden an sich binden – und fast immer sind diese auch exklusiv beim US-Streaming-Anbieter zu sehen. Seit September 2014 ist Netflix auch in Deutschland verfügbar, genügend Zeit also, sich durch einige der Eigenproduktionen geschaut zu haben – und jetzt weiterzuempfehlen.
Vier Netflix-Original-Serien legen wir Ihnen besonders ans Herz: Haus des Geldes, Die Telefonistinnen, Making a Murderer und Bojack Horseman.
Haus des Geldes (Netflix-Original-Serie: Start: 2017)
Wer bei Helsinki, Oslo, Denver, Nairobi, Berlin, Moskau oder Tokio als erstes an eine ausgiebige Weltreise denkt, der hat Glück – denn ihm steht eine der brillantesten Serien der letzten Jahre noch bevor. Die spanische Produktion „Haus des Geldes“ überzeugt mit modernen Robin-Hood-Figuren aus Madrid wie bei kaum einer Serie zuvor, weil sie es nicht nur schafft, die Charaktere einzigartig – wenngleich etwas überzeichnet – zu zeichnen, sondern auch, weil man bei diesem grandiosen Spannungsbogen einfach nicht abschalten kann. Dabei ist die Handlung eigentlich schnell erzählt: Angeführt von einem kauzigen „Professor“, hinter dessen bürgerlicher Maske aus altem Seat und biederen Anzügen sich ein genialer Gauner verbirgt, plant eine Gruppe aus Panzerknackern und Killern nicht weniger als der größte Raub der Geschichte – wobei es natürlich nicht eigentlich um die monetäre Beute aus dem Überfall auf die spanische Notenbank geht, sondern um einen Kampf gegen das System: Nehmt den Reichen, gebt der Masse! Dass die Maxime der Gruppe „Keine persönlichen Beziehungen“ trotz Tarnnamen immer wieder für Planänderungen sorgt, ist die große Stärke der Serie. So hat man stets das Gefühl, nachzuvollziehen, warum die Protagonisten handeln, wie sie handeln. Solch eine stringente Handlungslogik gab es zuletzt bei „Breaking Bad“.
Plus: „Haus des Geldes“ zeigt, dass gute Serien nicht zwangsweise aus den USA kommen müssen, sondern auch europäische Serien einen eigenen Erzählstil, eine große Zukunft haben können. Einzig und allein den Auftritt des brasilianischen Fernsehstars Neymar in der Rolle eines Mönches in der dritten Staffel hätten sich die Produzenten sparen können.
Die Telefonistinnen (Netflix-Original-Serie: Start: 2017)
Ebenfalls europäisch – genauer gesagt spanisch – ist auch die Produktion „Die Telefonistinnen“. Wer aber denkt, es handelt sich um eine kitschige Telenovela, liegt falsch: Die Serie entpuppt sich als Frauenpower in Bildschirmformat! In den goldenen Zwanzigern kämpfen vier Frauen für die Emanzipation in einer männerdominierten Welt und geben alles für ihre Selbstverwirklichung – und ihre Freundinnen.
Alba, Marga, Ángeles und Carlota ergattern in den späten 1920er Jahren einen Arbeitsplatz in der ersten Telefongesellschaft in Madrid – ihr Job ist es, Anrufe entgegenzunehmen und die Leitungen für gewünschte Telefongespräche herzustellen. Auch wenn die vier Protagonistinnen auf den ersten Blick klischeehafte Rollen verkörpern – Carlota, „die Reiche“, und Marga, „das Mauerblümchen vom Dorf”, um nur zwei zu benennen – werden sie dem Zuschauer mit ihrer doch ganz eigenen Persönlichkeit sympathisch. Der Fokus liegt besonders zu Anfang auf Alba, alias Lidia, die ihre wahre Identität mit krimineller Absicht verschleiert – was definitiv für Spannung sorgt, auch in puncto Liebe. Die Serie bietet aber noch wesentlich mehr: Hervorzuheben ist zum einen die innige Freundschaft, die mit der Zeit zwischen den Frauen entsteht. Zum anderen – und das ist der ausschlaggebende Grund für eine uneingeschränkte Empfehlung – beeindruckt der feministische Ansatz. Die Unabhängigkeit, für die die Frauen einstehen, ist in den 1920ern neu. Aus heutiger Sicht, in der es völlig normal scheint, dass Frauen arbeiten gehen (wollen), lohnt sich dieser Blick zurück zu den Wurzeln der Emanzipation. Während die vier versuchen, Liebe, Freundschaft und den modernen Arbeitsplatz zu vereinen, vergessen sie dabei niemals sich selbst und ihre Ziele. Fazit: Die historische Dramaserie hält überraschende Entwicklungen parat und überzeugt mit vereinter Frauenpower, Spannung und authentischen Figuren.
Making a Murderer (Netflix-Original-Serie, Start: 2015)
Reden wir von Serien, beziehen wir uns vor allem auf fiktionale Geschichten – also solche, die der Phantasie und Tastatur eines (Drehbuch-)Autors entspringen. Doch an sich ist es der seriellen Erzählform egal, wie hoch der aus dem Leben gegriffene Wahrheitsgehalt der Story tatsächlich ist. Wie wertvoll demnach auch dokumentarische Serien sein können, zeigt eindrücklich „Making a Murderer“. Mit dem Titel der Serie ist die Stoßrichtung, mit der der Zuschauer auf Steven Avery und die Vorwürfe gegen schaut, klar. Denn Avery, der 18 Jahre unschuldig im Gefängnis saß und dafür Schadensersatz will, wird plötzlich Mord vorgeworfen (Zusammenfassung der Handlung). Zufall? Die zehn Episoden der ersten Staffel fesseln einen an den Bildschirm wie ein Thriller, von dem man nur leider weiß, dass er aus der Realität gegriffen ist – und deswegen auch ohne weiteres dem „True Crime“-Genre zugeordnet wird. Ein Begriff, der fast vergessen lässt, dass wir hier eben nicht über eine fiktionale Serie reden.
Bojack Horseman (Netflix-Original-Serie: Start: 2014)
Die animierte Sitcom „Bojack Horseman“ begleitet den gleichnamigen ehemaligen Schauspieler und abgehalfterten Pferdemann auf der Odyssee seiner Selbstfindung. Damals, in den 90ern, war Bojack Horseman (unvergleichlich raunzig gesprochen von Will Arnett, bekannt aus „Arrested Development“ und „Lego Batman“) der Star der Sitcom „Horsin Around“ und eine richtig große Nummer. Heute verbringt er seine Tage damit, sich mit Drogen zu benebeln und mit bedeutungslosem Sex abzulenken oder mit Todd, seinem faulen aber liebenswürdigen Mitbewohner („Breaking Bad“ -Star Aaron Paul), auf der Couch seine alten Videobänder zu sehen. Als die Schriftstellerin Diane (Alison Brie, bekannt aus dem „Lego Film“ und „GLOW“) engagiert wird, um Bojacks Memoiren zu verfassen, sieht er die große Chance, endlich wieder das Licht der Scheinwerfer einzufangen…
Angesiedelt in einer Welt, in der Tiere und Menschen im Einklang leben, präsentiert „Bojack“ eine beißend-komische Satire des Hollywood-Lifestyles und der Welt der Stars – ohne die menschliche Seite seiner Charaktere aus dem Auge zu verlieren. Auch die Tragik ihres Lebens in dieser Glitzerwelt wird nicht ignoriert. Depression, Abhängigkeit, Einsamkeit und Tod – alles wird verhandelt und obwohl sich die Show hier nicht zurückhält, rutscht sie dank ihrer klar illustrierten Charaktere nie ins Pathetische ab. „Bojack Horseman“ ist eine schillernd bunte, tragikomisch erzählte Serie für Erwachsene, war als Produktion ein Wagnis und wurde durch ihren Erfolg zu einer Trophäe der modernen Animation. Heute bildet Animation, insbesondere solche, die auf ein erwachsenes Publikum zugeschnitten ist, eines der wichtigsten Standbeine von Netflix. So ist die Show der Beleg für eine der größten Stärken von Netflix – dass die Plattform bereit ist, in unkonventionelle Ideen zu investieren und dem Publikum etwas zu liefern, von dem es nicht wusste, dass es das wollte.
Titelbild: Murmann Publishers