Wie geht’s uns denn heute? Wenn wir diese Frage dem Gesundheitssystem stellen würden, wäre die Antwort ernüchternd. Denn es drückt und zwickt an zahlreichen Stellen: Viele Patienten fühlen sich wie anonyme Fälle – allein gelassen mit ihren Sorgen und Ängsten.
Im Wirrwarr der Behandlungen fällt es ihnen oft schwer, für sich die richtige Entscheidung zu treffen. Zu häufig müssen sie sich zudem vermeidbaren Doppeluntersuchungen unterziehen. Auch Ärzte und Pflegekräfte sind in vielen Bereichen frustriert, da sie überlastet sind – nicht zuletzt deshalb, weil der Aufwand für administrative Aufgaben weiter steigt. Dies sind nur einige der Symptome, die zeigen: Das Gesundheitssystem selbst ist zum Krankheitsfall geworden. Kleine Verbesserungen helfen nicht mehr weiter. Es braucht eine ganzheitliche Therapie, die die Ursachen an ihren Wurzeln bekämpft.
Was das genau bedeutet, beantwortet das Buch „Patient: Gesundheitssystem. Neue Menschlichkeit als Therapie“. Es schickt das Gesundheitssystem in die Sprechstunden zahlreicher Spezialisten – Ärzte, Pfleger, Politiker, Krankenhausmanager, Entscheider von Krankenkassen, Wissenschaftler und Patienten. Hier vernetzten sie ihre Perspektiven, mit dem Ziel, klare Diagnosen zu stellen und konkrete Handlungsoptionen zu zeigen. Hier eine kleine Auswahl von fünf (Sofort-)Maßnahmen:
1. Diagnose: Herzinsuffizienz – der Patient wird sich selbst überlassen
Therapiemaßnahme 1: Um die Patienten besser zu unterstützen und sie gleichzeitig in ihrer Autonomie zu stärken, braucht es Gesundheitslotsen, die sie durch den Dschungel der Zuständigkeiten führen. Sie sorgen – quasi als Anwälte – dafür, dass die Interessen und Bedürfnisse der Patienten maximal berücksichtigt werden.
2. Diagnose: Signalstörungen in den Nervenbahnen – mangelhafte Kommunikation
Therapiemaßnahme 2: Es braucht eine frühzeitige Verständigung und ein intensives Voneinander-Lernen der medizinischen Berufsgruppen, damit sie gemeinsam die bestmögliche Therapie entwickeln können. Wichtig ist, dass Interprofessionalität bereits in der Ausbildung beginnt. Es müssen Standards für die Zusammenarbeit etabliert und neue Kommunikationswege trainiert werden.
Kommunikation ist alles! Voneinander lernen und Zusammenarbeit sind unersetzlich.
3. Diagnose: Multiples Organversagen – Jeder (be)handelt für sich allein
Therapiemaßnahme 3: Wir müssen die Grenzen zwischen ambulanter und stationärer Versorgung überwinden, sodass alle Bereiche miteinander verbunden sind und nicht mehr getrennt planen. Wenn jeder weiß, was der andere macht, kann Patienten individueller, schneller und gezielter geholfen werden. Für die Umsetzung sind Gesundheitsbudgets für die sektorübergreifende Versorgung von Menschen in einer Region wichtig. Die Maxime: Act locally!
4. Diagnose: Digital Brain Storm – Turbulenzen im Gehirn des Gesundheitssystems
Therapiemaßnahme 4: Die Digitalisierung sollte den Patienten, den Zugriff auf hochwertige Gesundheitsinformationen ermöglichen, damit sie in der Lage sind, die beste Entscheidung für sich zu treffen. Ärztinnen und alle anderen Menschen in Heilberufen sollten befähigt werden, bessere Leistungen zu erbringen, zum Beispiel präzisere Diagnosen durch künstliche Intelligenz oder individuellere Therapien durch datengetriebene Forschung. Darüber hinaus können digitale Lösungen bei Routineaufgaben unterstützen, was mehr Zeit für die Patienten und damit mehr Empathie ermöglicht.
Führt Künstliche Intelligenz zu präziseren Diagnosen?
5. Diagnose: Schlagseite Ökonomie – Fehlstellungen im finanziellen Rückgrat
Therapiemaßnahme 5: Bislang schuldet ein Arzt dem Patienten lediglich eine Dienstleistung, aber künftig könnte dieser Vertrag durch eine Erfolgskomponente ergänzt werden, die sich auch in der Vergütung niederschlagen würde. Theoretisch ist es längst möglich, den Erfolg von Therapien zu messen, etwa bezüglich der Schmerzlinderung, der Steigerung der körperlichen Fitness oder der Mobilität. Vergütungsmodelle mit Erfolgskomponente und Patientenbeurteilung machen den Menschen zum Maß allen Handelns und zahlen auf das Prinzip der Fürsorge ein.
Dies ist nur ein kleiner Ausschnitt aus dem Buch, das zahlreiche weitere Ideen enthält, wie wir sofort loslegen können, um das Gesundheitssystem zu heilen. Denn es ist kein hoffnungsloser Fall – im Gegenteil: Schließlich ist die medizinische Versorgung in Deutschland eine der besten weltweit. Wenn wir sie nun auch noch menschlicher, fürsorglicher und empathischer machen, stärken wir nicht nur das Gesundheitssystem als Ganzes, sondern auch die Gesundheit jedes einzelnen.
Bilder: RF._.studio, EVG Culture, Karolina Grabowska von Pexels
