Hella von Sinnen ist erfolgreich ins Jahr 2017 gestartet: Medial am meisten beachtet war wohl das Comeback im fünfköpfigen Rateteam von „Genial daneben“ bei Sat.1. Zudem feierte sie im Februar Theaterpremiere mit einer Bühnenversion dreier Comic-Bände von Nicolas Mahler. Thematisch passend startet bald der von ihr moderierte „ComicTalk“. Ein „Literarisches Quartett für Comics“ soll es sein und – das überrascht bei der Fernsehfrau Hella von Sinnen dann doch – auf der Online-Plattform Massengeschmack-TV verfügbar sein. Grund genug also, mit der Grande Dame des Unterhaltungsfernsehens ausführlich zu sprechen.
Im Interview spricht Hella von Sinnen über die Stellung von Büchern im Fernsehen, Aufmerksamkeit für Reality-TV-Stars und neue Formatideen.
Frau von Sinnen, der Pilot zu „Der ComicTalk“ wurde bereits 2014 gedreht, bis zum Start bei massengeschmack.tv am 5. April hat es nun aber knapp drei Jahre gedauert. Wieso?
Nach dem Piloten hatten wir auch eine weitere Episode in Erlangen aufgezeichnet, aber richtig Bewegung kam dann erst 2016 in die Sache: Es gab ein Interview mit massengeschmack.tv, bei dem wir neben Fernsehen auch über Comics sprachen. Danach habe ich noch mit den Jungs im Hotel gestanden und gesagt: ‘Freunde, Massengeschmack-TV, was macht ihr denn da für lustige Dinge? Können wir nicht bei euch den ComicTalk aufzeichnen?’ Und dann haben die sich mit meinem Produzenten Carsten Meissner verknüpft – und jetzt wird das Format eben in Hamburg aufgezeichnet.
Viele Macher von Online-Formaten bei Netflix und Amazon loben die Freiheiten der Plattformen. Ist das bei Massengeschmack-TV auch so?
Das kann ich Ihnen nicht sagen, ich habe meine erste Aufzeichnung am 26. März.
Und in den Vorbesprechungen klang auch noch nichts an?
Ich hatte keine Vorbesprechungen, ich habe nur Kontakt mit meinem Produzenten. Er hat mir jetzt die acht Comics bzw. Graphic Novels geschickt, um die es in den beiden Sendungen gehen wird. Ich geh dann voller Freude dahin und mache diese Sendungen. Ich find’s erstmal gut, dass es die Möglichkeit gibt, Internet-Fernsehen zu machen. Ich bin seit vielen Jahren Fernseh-Arbeiterin und da sind ja die Entscheidungswege tatsächlich sehr lang. Die Leute trauen sich überhaupt nichts, schon gar nichts mit Niveau oder was auch nur kulturell angepinselt sein könnte.
Bücher haben es generell im Fernsehen schwer; es gibt wenige einschlägige Buchformate, die im Fernsehen stattfinden, wie das „Literarische Quartett”. Liegt das daran, dass Gespräche über Bücher zu intellektuell sind, oder passt das Buch einfach nicht ins Fernsehen?
Ich weiß nicht, ob sich das ausschließt. Es gibt noch genügend Leute, gerade die Ü-50er, die gerne Bücher lesen und auch noch Fernsehen gucken. Man kann ja nur froh sein, dass es im ZDF das „Literarische Quartett” wieder gibt. Aber warum sollen nicht auch die Privaten ihre Zuschauer mit vernünftiger Nahrung füttern, statt nur mit Bachelor, Dicken und Dschungel?
Hätten Sie denn Lust, auch mal beim „Literarischen Quartett” zu sitzen?
Ach, Schatz, was heißt Lust. Wenn die mich fragen, dann lese ich die vier Bücher, um die es geht, und komm da gerne hin. Warum denn nicht? Wenn ich die Zeit zum Lesen hab. Das Schöne an Graphic Novels ist ja, dass es nicht so zeitaufwendig ist wie ein dickes Buch zu lesen.
Ticken Comic-Fans anders als TV-Fans? Sind sie loyaler?
Aber Sie vergleichen doch gerade Äpfel mit Birnen. Sie können doch Kunst nicht mit Fernsehen vergleichen.
Also ist Fernsehen keine Kunst?
So wie ich Fernsehen mache, ist es eine Kunst, weil ich Künstlerin bin. Aber Fernsehen würde ich nicht unter die Neuen Künste rechnen wollen. Nicht wirklich. Fernsehen ist ein Medium, erstmal. Computer ist ja auch erstmal keine Kunst. Comics sind aber Kunst.
Okay, zurück zur Frage der Loyalität …
Ja. Auch im TV schauen sich Fans die Formate mit ihrem Star wie Joey Heindle an oder sie gucken es dann auf YouTube oder der Mediathek nach. Aber Comic-Fans sind eben auch loyal. Das spricht für sie. Ich mag es sehr, dass sie so voller Liebe und Hingabe sind.
Sie selbst haben einige der Reality-TV-Stars bei „Die Kirmeskönige“ getroffen und dazu in einem Interview bei massgeschmack.tv gesagt: „10 von den 12 Promis kannte ich gar nicht. Conny (Scheel) musste mich erstmal abfragen, damit ich mir die Namen merke.“ Können Sie es nachvollziehen, dass diese Stars trotzdem so viel Sendezeit im Fernsehen bekommen?
Nachvollziehen kann ich das natürlich. Wenn solche Leute beim „Dschungelcamp“ womit auch immer auffallen, erwarten die Zuschauer natürlich, dass sie auch bei anderen Formaten einen ähnlichen Unterhaltungswert haben. Als ich „Die Kirmeskönige“ gemacht habe, habe ich die Kollegen kennenlernen dürfen, und sie waren tatsächlich alle irrsinnig nett und sie haben sich auf ihre Weise alle sehr gelohnt. Ich schau halt nur nicht die Formate, in denen sie groß geworden sind.
Schauen Sie denn das „Dschungelcamp“?
Seitdem Dirk Bach tot ist, schaue ich das nicht. Als der Dirk Bach noch „Ich bin ein Star, holt mich hier raus!“ gemacht hat, habe ich jede Sendung gesehen, ja.
Das „Dschungelcamp“ gehört ja zu den wenigen schon lange laufenden Formaten im Fernsehen. Viele ältere Formate wie „Genial daneben“, aber auch „Familienduell“, „Glücksrad“ und Co. laufen gerade in einer Neuauflage. Gab es denn schon Anfragen zu „Alles Nichts Oder?!“?
Nein, die gab’s nicht. Als wir „Die Kirmeskönige“ gemacht haben, flirrte die Idee von einem zwei-, dreistündigen Special durch den Raum, aber der Herr Balder und auch ich – aber eher der Herr Balder – sind eigentlich dagegen, dieses Format wieder aufleben zu lassen. Wir haben den Eindruck, dass der Kult-Status geschädigt werden könnte.
Welches Format würden Sie denn gerne nochmal machen?
Ich habe gerade heute Nacht eine Idee geboren, die muss ich erstmal der Conny erzählen, deshalb werde ich sie Ihnen noch nicht erzählen. Denn wenn sie im Internet steht, dann macht’s irgendeine Katze ohne mich.
Und von den älteren Formaten?
Da würde ich jederzeit wieder das feministische Magazin „Weiber von Sinnen“ machen. Gerade wegen des Backlashs, der gerade durch Europa und die ganze Welt wabert, dieser Sexismus, diese Frauenfeindlichkeit, da wird’s dringend Zeit für „Weiber von Sinnen“.
Sie sind ja auch generell politisch engagiert. Da würde ja eigentlich auch ein politisches Format naheliegen, oder?
Ich bin nicht politisch engagiert.
Aber etwa im LSVD, dem Lesben- und Schwulenverband, aktiv …
Also unter politischem Engagement verstehe ich etwas Anderes. Wir sind ja mit Volker Beck befreundet und der Politiker an sich hat einen wahnsinnig anstrengenden Beruf. Aber ich bin lesbisch, habe da immer zu gestanden und habe gesagt: ‚Kinner, wir wollen gefälligst dieselben Rechte haben’. Und ich habe ja auch mal Kabarett gemacht. Also meine Meinung in einer unterhaltenden Form zu vertreten, das ist in der Tat eine Kernkompetenz von mir, ja.
Unterhaltend, aber eine klassische Talkshow wäre ja eher nichts, oder?
Wäre natürlich auch was. Weil wenn ich sie mache, ist es ja keine klassische Talkshow, sondern gut gemachte Unterhaltung.
Dann wäre jetzt nur die Frage nach dem passenden Sender. Dann wird es aber wahrscheinlich schon wieder schwierig, wer sich auf so ein Experiment einlassen würde.
Wenn ich eine Talkshow machen würde, würden Sie das als ein Experiment empfinden?
Ich könnte mir vorstellen, dass mancher Senderchef das eher als Experiment sehen würde.
Dann frag´ das den ein oder anderen Senderchef und gut ist. Erstmal kann man ja nur froh sein, dass Sat. 1 „Genial daneben“ mit der dicken Tante und dem alten Mann wieder recycelt hat. Damit war ja auch nicht zu rechnen.
Eine letzte Frage: Es gibt in der Medienbranche immer wieder die Debatte, wie sich Bewegtbild-Inhalte refinanzieren können. Wird es auf Werbung hinauslaufen – wie wir es von den privaten Sendern kennen – oder sind die Bezahlmodelle der Zukunft Abo-Modelle wie bei massengeschmack.tv?
Ich habe keine Ahnung, das fragen Sie bitte andere Leute. Hauptsache, die Kacke finanziert sich. Ob mit Werbung oder ohne soll mir egal sein. Aber dass es refinanziert werden muss, ist in der Tat richtig. Es können nicht ständig alle ambitionierten und idealistischen Leute für umme arbeiten.
Dieser Beitrag erschien in ähnlicher Weise zuerst auf der mittlerweile eingestellten Seite So. Digi. Pop..
Titelbild: Hella von Sinnen