Wie viel verdienen meine Kollegen? Diese Frage hat sich wahrscheinlich schon jeder Arbeitnehmer gestellt. Dennoch ist – gerade in Deutschland – Geld und vor allem das Gehalt noch immer ein Tabuthema. Gleichzeitig ist bekannt, dass Frauen durchschnittlich weniger Gehalt bekommen als Männer, trotz gleicher Arbeit. Können transparente Gehälter hier Abhilfe schaffen? Wer das Prinzip der transparenten Gehaltsmodelle bereits lebt, ist das Münchener Beratungsunternehmen creaffective. In ihrem Buch „Future Fit Company“ zeigen sie, wie Unternehmen fit für die Zukunft gemacht werden können – auch in Sachen fairem Gehalt.
Im Interview erklären die creaffective-Teammitglieder Nadine Krauß, Florian Rustler und Jens Springmann, wie sich transparente Gehälter in Unternehmen etablieren lassen und wie sie selbst eine faire Gehaltsformel entwickelt haben.
Herr Rustler, wieso können transparente Gehälter für ein Unternehmen wichtig sein?
Florian Rustler: Wenn es in einem Unternehmen immer wieder Gerüchte über Gehälter gibt und Ungerechtigkeit vermutet wird, dann können transparente Gehälter für Klarheit und Transparenz sorgen. Das bedeutet aber: Wenn ein Unternehmen Gehälter sehr willkürlich festlegt oder vom Geschick des Einzelnen abhängig macht, kann eine plötzliche Gehaltstransparenz für ein ziemliches Gewitter unter den Mitarbeitern sorgen.
Oft kommt die Idee von transparenten Gehältern auch im Zuge der zunehmenden Selbstorganisation im Unternehmen auf.
Nadine Krauß: Das stimmt, denn wenn die Leute im Unternehmen eigenverantwortlich Entscheidungen treffen müssen, brauchen sie dafür auch Daten und Informationen. Und dann kommt irgendwann – sicherlich nicht am Start – das Thema Gehälter auf.
Warum sind Gehälter überhaupt so oft ein Tabuthema?
Florian Rustler: Zum einen sehe ich einen kulturellen Faktor – in Deutschland spricht man über Geld nicht, das ist in anderen Kulturen anders. Zum anderen sind sich manche Unternehmen sehr bewusst, dass die Kriterien hinter den Gehältern nicht immer klar und fair sind – weshalb es teilweise sogar in Arbeitsverträgen Klauseln zu einer Gehaltsverschwiegenheit gibt. Wenn man so will, ist diese verschriftliche Tabuisierung ein Mittel, um die Intransparenz aufrecht zu erhalten.
Solche Klauseln sind also ein Selbstschutz des Unternehmens vor den eigenen Fehlern, die sie bei den Gehältern gemacht haben?
Jens Springmann: Ich vergleiche das mit einem Familiengeheimnis. Jeder weiß, dass es da ist, aber wenn es transparent gemacht wird, dann zerreißt es die Familie. So ist es auch beim Thema Gehalt in einem Unternehmen. In beiden Fällen scheuen wir davor zurück, ein altes Geheimnis offenzulegen und uns zu überlegen: Was machen wir jetzt eigentlich damit?
„Transparenz muss nicht bedeuten, dass sofort alle Gehälter auf den Cent genau öffentlich gemacht werden.“
Bleiben wir bei dieser Metapher. Sagen wir, es gibt in der Familie groß Kaffee und Kuchen, alle kommen zusammen und es wird entschieden, das Familiengeheimnis zu lüften – beziehungsweise die Gehaltsstruktur offenzulegen. Wie geht man dann am besten vor?
Nadine Krauß: Der erste Schritt kann sein, sich als Unternehmen erstmal transparent zu machen, also den Status quo aufzudecken. Dann muss ein Unternehmen aber auch den nächsten Schritt überlegen und sich fragen: Wie müsste ein neues, gutes System aussehen? Sowohl ein transparentes Gehaltssystem, als auch ein System, mit dem die Gehälter in Zukunft transparent und fair festgelegt werden können. Auch daran sollte man die Mitarbeiter beteiligen und ihnen nicht einfach eine Lösung vorsetzen.
Florian Rustler: Diese totale Transparenz ist aber nur ein Weg unter vielen. Transparenz muss nicht bedeuten, dass sofort alle Gehälter auf den Cent genau öffentlich gemacht werden. Alternativ können auch erstmal Karrierestufen und ein Gehaltskorridor öffentlich gemacht werden. Auch das ist für viele Unternehmen schon ein Schritt.
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Sie haben bei creaffective eine Gehaltsformel, nach der sich das Gehalt der Teammitglieder bemisst. Wie sieht diese Formel aus?
Florian Rustler: Wir haben im Unternehmen alle eine vergleichbare Rolle als Innovation Coaches oder Berater und erhalten ein festes Grundgehalt. Dieses basiert auf einem individuellen Arbeitszeitvolumen, je nachdem, wie viel jemand pro Woche arbeitet und wie viele Tage jemand beim Kunden ist. Weitere Faktoren in der Gehaltsformel sind die Dauer der Unternehmenszugehörigkeit und das Kompetenzlevel, das unsere Berater mitbringen. Wie hoch die Kompetenz ist, besprechen wir gemeinsam in der Gruppe.
Sie sagen, mit dieser Formel soll das Gehalt fairer und transparenter werden. Dennoch ließen sich ja von dazukommenden, neuen Kollegen Vorschläge für eine Erweiterung der Gehaltsformel einbringen – etwa, wenn man Kunden mitbringt. Dann würde das persönliche Verhandlungsgeschick doch eine Rolle spielen, oder?
Florian Rustler: Nein, das sehe ich nicht so, denn wir müssen uns bei der Gehaltsformel immer als Gruppe einigen. Bei anderen Unternehmen mag das anders aussehen, aber bei uns ist auch der Vorteil, dass wir alle eine ähnliche Rolle haben. In anderen Unternehmen mit mehreren Jobprofilen können durchaus Themen wie Kundenakquise eine wichtigere Rolle für die Gehaltsformel spielen als bei uns und entsprechend berücksichtigt werden.
„Gehaltsabsprachen müssen aus dem Hinterzimmer zurück in die Gruppe.“
Sind transparente Gehaltsmodelle auch eine Möglichkeit, um die Gender-Pay-Gap, also das Gehaltsgefüge zwischen Männern und Frauen, zu unterbinden?
Jens Springmann: Es ist ja meistens so: Warum entsteht diese Ungleichheit zwischen Mann und Frau? Man sagt ja, es hat damit zu tun, dass Männer besser verhandeln. Aber mit wem verhandeln sie denn? Gerade bei Mittelständlern und großen Konzernen ist es meist eine Person – ein Abteilungsleiter oder ein Geschäftsführer –, der eine Entscheidung im stillen Kämmerlein völlig intransparent trifft. Gehaltsabsprachen müssen aus dem Hinterzimmer zurück in die Gruppe. Das macht es natürlich komplizierter, weil dann viele Köche rumrühren. Aber ich glaube, erst das macht es fair.
Nadine Krauß: Im Team lassen sich so auch fairer Gehaltserhöhungen besprechen, indem man klar definiert: Wie hat sich jemand entwickelt, wie wollen wir das honorieren? Hier sind wir wieder beim wertschätzenden Feedback im Team, das vielleicht auch gegen das unterschiedliche Auftreten und Selbstbewusstsein in Gehaltsverhandlungen zwischen Männern und Frauen hilft.
Gibt es bei creaffective trotzdem noch ein Bonussystem oder läuft das alles nur über die Formel?
Florian Rustler: Auch unser Bonussystem ist völlig transparent und nicht von individueller Leistung abhängig. Wenn wir als Unternehmen Gewinn machen, wird ein Teil des Gewinns an alle Kollegen ausgeschüttet. Nicht der Einzelne ist also der tollste Hecht und bekommt mehr als alle anderen, sondern wir alle, weil wir gemeinsam erfolgreich waren.
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Titelbild: pexels.com