Ein mysteriöser Fall in einem englischen Internat, Lyrik vom Feinsten und viel frische Theaterluft bieten die Kulturtipps im Juli.

Gesellschaftsbild

„Freundschaft und Vergeltung“ von Helmut Krausser klingt ein bisschen wie Dostojewski, aber keine Sorge: 1000 Seiten epische Länge erwarten einen bei diesem fesselnden Roman nicht. Worum geht’s? Zur Jahreswende 1965 verschwinden in einem englischen Internat vier Personen. Alle stehen vor einem Rätsel, auch die Polizei bleibt erfolglos. Anthony Brewer, damals Schüler in Raven Hall und heute pensionierter Anwalt, hat der mysteriöse Fall nie losgelassen. Er beginnt, die damals Beteiligten zu befragen und versucht herauszufinden, was geschah. Die protokollartig zusammengefassten Aussagen führen die Leser in den Mikrokosmos des Internats, wo in ländlicher Abgeschiedenheit die Hormone der pubertierenden Schüler und die zwischenmenschlichen Spannungen fast explodieren. Liebe, Schwärmerei und Eifersucht werden in Brewers Aufzeichnungen lebendig. Aber auch die Prüderie eines Englands der sechziger Jahre, in das sich bereits jugendlicher Aufbruch schleicht. Das Haar wird länger, die Musik wilder und der Ruf nach einer moderneren Pädagogik lauter. „Freundschaft und Vergeltung“ ist ein Roman voller überraschender Wendungen und Irrwege. Ein zeitloses Werk, das sowohl als spannender Krimi als auch als eindrucksvolles Sittenbild überzeugt.

Helmut Krausser
Freundschaft und Vergeltung
Piper Verlag, München 2024

Poesie

Wer Poesie liebt oder einfach neugierig ist, was zeitgenössische Dichtung zu bieten hat, für den ist das Haus für Poesie in Berlin der richtige Ort. Seit 2022 leitet die vielfach ausgezeichnete Lyrikerin Katharina Schultens dieses Haus und bringt Poesie mit Leidenschaft und Erfolg in die Öffentlichkeit. Besonders ist es in diesem Jahr: Vom 5. bis 21. Juli feiert das Haus sein 25. Poesiefestival – und das mit einem beeindruckenden Programm. An verschiedenen Orten in Berlin gibt es die sogenannten Poets‘ Corners. Hier wird Poesie zur Bühne, mal begleitet von Musik und Performances, mal als purer Wortbeitrag in Cafés. Dabei steht das Festival bewusst unter keinem bestimmten Motto, um die Vielfalt der Themen zu zeigen. Abende zu „Writing Change“, „Class“, „Identity“ und „Histories“ laden zum Austausch ein. Rund 40 Dichterinnen und Dichter aus der ganzen Welt präsentieren ihre Werke in Originalsprache, übersetzt ins Deutsche und Englische. Besonders empfehlenswert sind die Wochenend-Lesungen im Außenbereich des silent green, dem diesjährigen Veranstaltungsort. Dort treten etwa 80 internationale und in Berlin lebende Poeten auf. Den krönenden Abschluss bildet am 20. Juli die lange Nacht der Poesie und am 21. Juli die feierliche Berliner Rede zur Poesie.

15. poesiefestival berlin
4. – 21. Juli 2024

Ostsee

Wer Lust auf Kultur unter freiem Himmel hat, sollte sich auf den Weg an die Ostsee machen. Dort nämlich bietet die Vorpommersche Landesbühne von Mai bis September Theateraufführungen in malerischer Open-Air-Kulisse und immer mit einer Brise um die Nase. Schon seit 1993 zieht es das Theater im Sommer an die frische Luft. Ab 1997 kamen die spektakulären Vineta-Festspiele auf der Ostseebühne in Zinnowitz hinzu. Jedes Jahr wird die Geschichte der sagenhaften Stadt Vineta, die aufgrund der Gier ihrer Bewohner im Meer versank, neu inszeniert. Mit viel Tanz, Kampf und Gesang taucht Vineta jedes Jahr zu Ostern in der Hoffnung auf, von einem Sonntagskind erlöst zu werden. Aber auch die Hafenfestspiele in Wolgast und die Aufführungen im Theatergarten in Barth sind einen Besuch wert. Dieses Jahr stehen rund 200 Veranstaltungen auf dem Programm, darunter Stücke wie „Jugend ohne Gott“, „Der Kontrabaß“, „Ladies Night“ und „The King’s Speech“.

Vineta-Festspiele vom 28. Juni bis 31. August 2024
immer Mittwoch, Donnerstag und Samstag um 19.30 Uhr

Foto: Foto von Carsten Ruthemann auf Pexels.