Noch immer müssen wir auf Live-Konzerte und Ausstellungen verzichten. Zeit, mit Nikola Djoric Piazzolla wiederzuentdecken, virtuell eine Ausstellung zu besuchen und einen Roman von Stanislav Struhar in die Hand zu nehmen, der unter die Haut geht.
Mit Sogwirkung
Stanislav Struhar floh 1988 aus der damaligen Tschechoslowakei nach Österreich. 2004 erschien sein Roman „Verlassener Garten“. Es war der letzte, den er in noch seiner Muttersprache schrieb. Ein kleines Meisterwerk, das nun endlich auch auf Deutsch vorliegt. Der Autor vermag es, den Leser mit seiner reduzierten und dennoch einfühlsamen Sprache zu packen und nicht mehr loszulassen. Erzählt wird die Geschichte des zu Beginn erst sechs Jahre alten Joachim, der bei den Großeltern aufwächst. Das Haus ist düster und kalt, einzig seine Tante, die erst siebzehnjährige Schwester seiner Mutter, bietet ihm Halt. Hinter den Mauern lauern dunkle Familiengeheimnisse, die subtil ans Licht kommen, ohne je ausgesprochen zu werden. Seien es in die Dielen eingeritzte Hilferufe, sei es das Knarren der Klinke zum Zimmer der Tante, nachdem der Großvater die Treppe heraufgekommen ist. Eine schaurige Faszination geht von dieser kammerspielhaften Erzählung aus, die elf Jahre umfasst und vor allem auch eines ist: Sprachästhetik auf hohem Niveau.
Stanislav Struhar
Verlassener Garten
Wieser Verlag, Klagenfurt 2020
Mit Schwung
Astor Piazzolla, der Meister des Tangos, wäre in diesem Jahr 100 Jahre alt geworden. Eine hervorragende Gelegenheit, Schwung in diese schwunglose Zeit zu bringen oder vielmehr: aufregende musikalische Kombinationen. Der in Österreich lebende serbische Akkordeonist Nikola Djoric hat es gewagt, den großen Johann Sebastian Bach mit dem Tango Nuevo Komponisten auf eine CD zu bringen. Zusammen mit dem Kurpfälzischen Kammerorchester Mannheim unter der Leitung von Hans-Peter Hoffmann hat er Astor Piazzollas berühmtes Konzert für Bandoneón, „Aconcagua“, zusammen mit Bachs Cembalokonzerten Nr. 1 & 7 aufgenommen. Ein reizvolles Album, das uns den einen wie den anderen Komponisten näherbringt und auf seine Art ein aufregendes musikalisches Crossover-Erlebnis beschert. Hier kann man übrigens mal hineinhören.
Nikola Djoric – Bach & Piazzolla
Nikola Djoric / Kurpfälzisches Kammerorchester
Berlin Classics 2021
Mit Mausklick
Nein, es ist wirklich nicht dasselbe, ob man Bildern in einem Museum von Angesicht zu Angesicht gegenüber steht oder auf die plane Fläche eines Monitors starrt. Und dennoch sollte man hin und wieder die Gelegenheit nutzen, die digitalen Angebote der großen Häuser wahrzunehmen. Durch die Coronamaßnahmen ist nämlich eine wunderschöne, wenngleich der Zeit entsprechende ungewollt Düsternis ausstrahlende, Ausstellung fast völlig untergegangen. „Dekadenz und dunkle Träume. Der belgische Symbolismus“ heißt die aktuelle Schau in der Alten Nationalgalerie in Berlin. In einem hochauflösenden 360-Grad-Rundgang klicken wir uns lustvoll durch die Räume und schauen in morbide Abgründe. Ein Live-Besuch wird wohl nicht mehr möglich sein, da die Ausstellung offiziell nur bis zum 20. Januar dieses Jahres geplant war. Deswegen: Schnell hineinklicken!
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Foto: Andres Victorero, Pexels