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Ist der Weg das Ziel? 

Auf die Herausforderungen der VUCA-Welt mit umsichtiger Effizienz reagieren, nicht die Nerven verlieren, trotz kurzfristiger Richtungswechsel den vor uns liegenden, langen Weg im Blick behalten – dieser Ansatz wird seit Jahren in zahlreichen Fachpublikationen für Manager*innen und Führungskräfte empfohlen. Die zugrundeliegende Überlegung: Bei der Bewältigung gegenwärtiger Problemstellungen wird das methodische Denken immer wichtiger (Scrum, agiles Vorgehen, Design Thinking etc.). Methodik: Diese dem Altgriechischen entlehnte Begrifflichkeit (méhodos= der Weg zu etwas hin) erinnert an eine altbekannte Weisheit, die besagt, der Weg sei das Ziel.

Und nun?

Diese Erkenntnis sich zur Grundeinstellung zu machen, hat mindestens zwei Folgen: Zum einen findet eine Entlastung von krampfhaft gesetzten Zielvorstellungen statt. Ziele sind zwar notwendig – aber bei unzureichender Klarheit, können Zielvorstellungen destruktiv wirken. Zweitens: Wir brechen erstmal auf und vermeiden damit die negativen Konsequenzen des Verbleibs im Hier und Jetzt. Trotz methodischer Vorgehensweise wird aber das Ziel unserer Reise nicht immer kenntlicher. Wir haben dann nur so ein Gefühl in die richtige Richtung zu gehen. Wir entdecken zwar Neues, schleppen aber das Alte oft noch mit uns herum – und begegnen auf dem Weg ins Neue einigen alten Lasten, von denen wir dachten, dass wir sie schon längst abgelegt hätten.

Anachronismen sind allgegenwärtig

Das ist Anachronismus in Reinform. Wieder so ein Begriff, der im Altgriechischen seine Wurzeln hat und der sich über Jahrhunderte als Einschätzungsraster gesellschaftlicher Entwicklungen gehalten hat. Immer dann, wenn ein Phänomen uns als nicht zeitgemäß erscheint, empfinden wir es als anachronistisch, wie aus der Zeit gefallen. Besonders in Zeiten besonders heftiger Technologiesprünge, die von systemischen gesellschaftlichen Entwicklungen begleitet werden, kommt das permanent vor. Drucke ich das Ticket lieber aus oder lasse ich es in meiner digitalen Wallet? Oder beides. Das ist doch das Sicherste? Der KI-Agent klopft mir permanent auf die Schulter, er könne jetzt bei der Aufzeichnung des Meetings das Ruder übernehmen, doch ich kann von dem Notizblock einfach nicht lassen. Dies sind banale Anachronismus-Phänomene.

Warum der Umgang mit Anachronismen so wichtig ist

Nicht-banale Anachronismen von gesellschaftspolitischer, systemischer Bedeutung sind mindestens genauso häufig. Schauen wir auf Organisationen: Ein autoritärer Führungsstil wird nur so lange als anachronistisch empfunden, wie die Mehrzahl der Betroffenen der Auffassung ist, dass eine partizipative Kultur dominant sein sollte. Dreht sich das Verhältnis um und das Autoritäre wird als das Zeitgemäße angesehen, entfaltet der partizipative-inklusive Führungsstil plötzlich eine anachronistische Wirkung. Wir erleben dieses Phänomen gerade im (Welt-) Politischen – manchmal entfaltet sich die anachronistische Wirkung schleichend, manchmal disruptiv. Der Umgang mit anachronistischen Phänomenen gehört deshalb meines Erachtens verstärkt in den Fokus, wenn es darum geht, wie wir den Weg zum Ziel machen und die Folgen dieser Entscheidung aushalten. Denn in diesen VUCA-Zeiten wird das Abschreiten des Weges vermutlich nicht linear verlaufen und auf dem Weg werden wir unsere Perspektiven mehrfach wechseln müssen. Wir werden den gegenwärtigen Ort, den wir als nicht mehr zeitgemäß empfinden, verlassen und denken an einem anderen, besseren, Ort anzukommen. An diesem werden wir dann Phänomenen des alten Ortes begegnen, Reminiszenzen und Regressionen, die wir nicht wegsynchronisieren können.

Navigieren in einer komplexen Welt

Dies nicht nur auszuhalten, sondern damit gestaltend umzugehen, erfordert eine spezifische Ressource: Ich bezeichne diese als Anachronismuskompetenz.

Auch Bücher mögen als Mediengattung vielleicht anachronistisch erscheinen – gute Bücher entziehen sich durch die in ihnen enthaltenen Methoden, Perspektiven und Argumente aber besonders schnelllebigen Trends. Und: Sie machen Anachronismen sichtbar – dafür muss man nur mal einen Blick in ein Managementbuch aus den 90er-Jahren werfen. Wer also Anachronismuskompetenz üben will, dem lege ich umso mehr das Bücherlesen ans Herz.

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