Sonne, Meer und Entspannung: Das wünschen sich Touristen im Urlaub. Doch bei manchen Ländern schwingt die Angst vor Terrorismus und Anschlägen mit, auch bei Urlaubsorten am Mittelmeer. Deshalb wollen wir von Terrorismus-Experte Florian Peil wissen: Wie sicher sind beliebte Urlaubsländer wie Ägypten, Tunesien und die Türkei aktuell? Peil, der auch Autor des Buchs „Terrorismus – Wie wir uns schützen können“ ist, rät generell: Augen auf bei der Wahl des Urlaubziels.
Im Interview erklärt Terrorismus-Experte Florian Peil, wie die Sicherheitslage in Ägypten, Tunesien und der Türkei im Sommer 2019 zu bewerten ist und worauf Touristen im Urlaub achten sollten.
Herr Peil, Anfang 2018 warnten Sie, dass in Ägypten die Bedrohung durch Terrorismus höher als in Tunesien oder der Türkei sei. Hat sich daran bis heute etwas geändert?
Daran hat sich grundlegend nichts geändert. Eine Gefährdung durch terroristische Anschläge besteht nach wie vor. Das spiegelt sich auch in der Einschätzung des Auswärtigen Amtes (AA) wider, die ja für in Deutschland ansässige Reiseveranstalter maßgeblich ist: Für Ägypten hält das AA eine Teilreisewarnung aufrecht, für Tunesien und die Türkei gibt es umfangreiche Sicherheitshinweise. In Ägypten und Tunesien gilt zudem der Ausnahmezustand – wie schon 2018.
„Die Lage in Ägypten ist sehr volatil und verändert sich fortlaufend. In zwei Wochen kann sich die Lage schon wieder verändert haben.“
Was genau bedeutet das für Ägypten?
In Ägypten ist das Risiko terroristischer Anschläge im Vergleich zum Vorjahr leicht gesunken. Das liegt vor allem am hohen Fahndungs- und Verfolgungsdruck von Polizei und Nachrichtendiensten sowie dem massiven Vorgehen des Militärs. Einige hochrangige Anführer der relevanten terroristischen Gruppen wurden dabei verhaftet oder getötet. Das hat diese Gruppen geschwächt und ihre Fähigkeiten zur Planung und Ausführung von Anschlägen eingeschränkt. Allerdings ist das nur eine Momentaufnahme. Die Lage in Ägypten ist sehr volatil und verändert sich fortlaufend. In zwei Wochen kann sich die Lage schon wieder verändert haben. Bei der Bewertung des Risikos terroristischer Anschläge haben wir ja grundsätzlich das Problem, dass wir nicht von der Vergangenheit auf die Zukunft schließen können. Nur weil es in den vergangenen Monaten wenig oder keine Anschläge gegeben hat, bedeutet das ja nicht, dass das so bleibt. Vielleicht kommt es bereits morgen zum größten Anschlag in der Geschichte des Landes. Oder eben nicht. Das Perfide am Terrorismus ist ja, dass die Anschläge ohne Vorwarnung kommen.
Von welchen Terror-Gruppen geht in Ägypten aktuell die größte Gefahr aus?
Die gefährlichsten Terror-Gruppen sind Dschihadisten von Al-Qaida-nahen Gruppen oder Ableger des Islamischen Staates auf dem Sinai und im ägyptischen Kernland. Weiterhin gibt es Gruppen, die dem Umfeld der Muslimbruderschaft entstammen. Die Anschlagsziele der einzelnen Gruppen unterscheiden sich, sind gegenwärtig aber vorrangig gegen die ägyptischen Sicherheitskräfte sowie – im Falle der Dschihadisten – gegen koptische Christen und Kirchen gerichtet.
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Viele Urlauber befinden in Urlaubsorten wie Scharm al-Scheich oder besuchen Großstädte, etwa Kairo oder Alexandria. Wie ist dort im Sommer 2019 die Terror-Gefahr einzuschätzen?
Der Hotspot mit den mit Abstand meisten Anschlägen ist nach wie vor der Norden der Sinai-Halbinsel. Das ist allerdings militärisches Sperrgebiet, da kommen Sie nicht einmal in die Nähe, selbst wenn Sie das unbedingt wollten. Allerdings sind die Urlaubsgebiete im Süd-Sinai rund um Scharm al-Scheich und Dahab nicht weit entfernt. Und der IS-Ableger auf dem Sinai ist nach wie vor taktisch sehr mobil und einsatzfähig. Im April 2017 haben die Dschihadisten nahe das Katharinen-Klosters im Zentralsinai, das ein beliebter Ausflugsort für Touristen ist, einen Anschlag auf einen Checkpoint der Polizei verübt.
Für Reisende besteht ansonsten eine grundsätzliche Gefährdung auch im Großraum Kairo, im Niltal in Oberägypten und in der Westlichen Wüste, also der Sahara westlich des Niltals.
Hinzu kommt, dass Ägypten bis zum 19. Juli 2019 den Afrika-Cup ausrichtet. Fußballspiele mit Zehntausenden von Zuschauern sind für Terroristen natürlich höchst attraktive Anschlagsziele. Insofern besteht gegenwärtig im Umfeld der Stadien in Kairo, Alexandria, Ismailia und Suez eine erhöhte Anschlagsgefahr.
„Die Sicherheitskräfte haben auch in dieser Saison wieder ihre Präsenz in den tunesischen Badeorten am Mittelmeer stark ausgebaut und unter anderem mobile Sicherheitsposten eingerichtet.“
Und wie schätzen Sie die Lage in Tunesien gegenwärtig für Touristen ein?
Auch in Tunesien besteht das erhöhte Risiko von Terroranschlägen. Das hat sich seit 2018 nicht verändert. Ebenso gilt seit 2015 der Ausnahmezustand landesweit fort. Auslöser dafür ist eine Serie von Terroranschlägen des Islamischen Staates in Tunesien gewesen.
Gegen wen richtete sich denn zuletzt der Terror in Tunesien?
In den vergangenen Monaten haben sich terroristische Anschläge vornehmlich gegen tunesische Sicherheitskräfte gerichtet, nicht gegen Touristen. Täter sind Dschihadisten des Islamischen Staates (IS) und des tunesischen Arms von Al-Qaida, dem Uqba-Bin-Nafi-Bataillon.
Wo in Tunesien muss man besonders mit Anschlägen rechnen?
Für Reisende und Urlauber besteht gegenwärtig besteht eine erhöhte Gefährdung in der Hauptstadt Tunis. Der jüngste Anschlag fand am 27. Juni 2019 in Tunis statt, als sich zwei Selbstmordattentäter in der Innenstadt von Tunis in die Luft sprengten. Ziel des Doppelanschlags waren aber tunesische Sicherheitskräfte, nicht Touristen. Das bedeutet jedoch nicht, dass gezielte Anschläge gegen Touristen deswegen ausgeschlossen sind. Das kann sich jederzeit wieder ändern. Die Sicherheitskräfte haben auch in dieser Saison wieder ihre Präsenz in den tunesischen Badeorten am Mittelmeer stark ausgebaut und unter anderem mobile Sicherheitsposten eingerichtet.
Positiv zu bewerten ist die Reaktion von Staat und Bevölkerung auf den letzten Anschlag Ende Juni. Diese war gefasst und gelassen. Es gab keine hysterischen oder überzogenen Reaktionen des Staates oder der Sicherheitsbehörden, das Leben verlief schnell wieder in geordneten Bahnen. Das zeigt auch, dass die tunesischen Sicherheitskräfte in den vergangenen Jahren im Bereich der Terrorismus-Bekämpfung professioneller geworden sind.
Haben die tunesischen Behörden das Problem also besser im Griff?
Ja, auch deshalb, weil sich die Zahl der Dschihadisten nicht dramatisch vervielfacht hat. Noch im vergangenen Jahr bestand die größte Sorge darin, dass eine große Zahl der etwa 3000 (anderen Quellen zufolge bis zu 6.500) Dschihadisten aus Tunesien, die sich dem Islamischen Staat in Irak und Syrien angeschlossen hatten, nach dessen Zerfall wieder nach Tunesien zurückkehren und das Land mit Terror überziehen würden. Das ist bislang zum Glück nicht eingetreten. Von den bislang rund 1.000 Rückkehrern scheint nach bisherigen Erkenntnissen niemand in die jüngsten Anschläge verwickelt zu sein.
„Wie in Ägypten und Tunesien ist auch in der Türkei das Risiko terroristischer Anschläge erhöht.“
Und wie hoch ist die Gefahr für Anschläge in der Türkei?
Wie in Ägypten und Tunesien ist auch in der Türkei das Risiko terroristischer Anschläge erhöht. Es gibt dabei keine signifikanten Veränderungen im Vergleich zum Vorjahr. Seither hat es auch keine Vorkommnisse in den Badeorten entlang des Mittelmeeres gegeben. Reisende und Urlauber können zwar grundsätzlich auch das Ziel von Anschlägen werden. Anschläge richten sich aber in erster Linie gegen die türkischen Sicherheitskräfte und staatliche Institutionen. Die gefährlichsten terroristischen Gruppen sind unverändert der Islamische Staat (IS) und die „Freiheitsfalken Kurdistans“ (TAK).
Wo ist der Terror-Risiko in der Türkei besonders hoch?
Nach wie vor ist das Risiko im Süden und Südosten des Landes am höchsten, entlang der Grenze zu Syrien. Eine erhöhte Gefährdung für Reisende besteht außerdem in Großstädten, allen voran Ankara und Istanbul. Ein erhöhtes Risiko besteht weiterhin im Bereich der Luftsicherheit. Der Flughafen Atatürk ist bereits wiederholt das Ziel terroristischer Anschläge geworden. Dieser wurde jedoch im April 2019 vom neuen Istanbul Airport abgelöst.
Gibt es denn auch Regionen, in denen sich Touristen im Sommer 2019 sicherer vor Anschlägen fühlen können als früher?
Das lässt sich pauschal nicht beantworten. Fühlen ist so eine Sache. Die Erfahrung zeigt, dass Fakten und Fühlen häufig sehr weit auseinander liegen. Die eigene Wahrnehmung wird von einer Vielzahl von Faktoren beeinflusst: die eigene Persönlichkeit, Fähigkeiten und Kenntnissen, Erfahrung, der individuelle Risikoappetit. Jeder Mensch hat daher auch ein anderes Risikoprofil. Was dem einen zu viel ist, ist dem anderen zu langweilig.
Als Faustregel gilt: Rund ums Mittelmeer können Sie in Europa überall hinfahren. Am südlichen und östlichen Mittelmeer müssen Sie nur bei der Auswahl des Reiseziels ein wenig genauer bis sehr genau hinschauen. Syrien und Libyen können Sie dabei natürlich vergessen, aber beide Länder dürften momentan ohnehin nicht in der engeren Auswahl stehen.
Sie schreiben in Ihrem Buch, dass Verhaltensregeln beim Schutz vor Terrorismus helfen können. Welches sind die wichtigsten?
Für Urlauber empfehle ich: Wählen Sie Ihr Reiseziel sorgfältig aus. Vertrauen Sie nicht allein den Angaben der Reiseveranstalter, sondern recherchieren Sie ein wenig auf eigene Faust. Die Reise- und Sicherheitshinweise des Auswärtigen Amtes sind dafür ein guter Ausgangspunkt. Erscheint Ihnen die Bedrohung zu hoch, dann wählen Sie eben ein anderes Reiseziel. Erkundigen Sie sich auch bei Ihrem Reiseveranstalter nach bestehenden Sicherheitsvorkehrungen und Notfallplänen. Fordern Sie eine schriftliche Auskunft an.
Tragen Sie sich vor der Abreise in die Krisenvorsorgeliste des Auswärtigen Amtes ein. Im Krisenfall weiß die Behörde, dass Sie im Land sind und kann Sie direkt kontaktieren. Das kann zum Beispiel im Fall einer Evakuierung von entscheidender Bedeutung sein.
Vor Ort verkürzen Sie die Zeit, die Sie an öffentlichen Orten und an Sehenswürdigkeiten verbringen, dann auf ein Minimum. Das reduziert die Wahrscheinlichkeit, Opfer eines Terroranschlags zu werden. Seien Sie in der Öffentlichkeit und auch in Ihrer Hotelanlage grundsätzlich wachsam und aufmerksam. Ein Hotel ist nicht automatisch ein sicherer und geschützter Raum. Im Gegenteil: Die Sicherheit in vielen Hotels, auch in denen der Luxusklasse, ist häufig auf einem sehr niedrigen Niveau. Viele Sicherheitsmaßnahmen sind bloße Augenwischerei. Sollten Ihnen Personen oder Veränderungen auffallen, die Ihnen merkwürdig vorkommen, entfernen Sie sich zügig und melden Sie Ihre Beobachtungen dem Personal oder den Sicherheitskräften. Vertrauen Sie Ihrem Bauchgefühl. Ihre eigene Wachsamkeit ist Ihr bester Schutz.
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Titelbild: pexels.com; Foto Florian Peil: Fioretti Fotografie