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New York am 28. Juni 1969: In der Szenebar Stonewall Inn findet eine Polizei-Razzia statt. Eine Razzia, die in die Geschichtsbücher eingehen soll – denn sie gilt auch heute oft als Keimzelle für die LGBT-Community, der sich Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgender zugehörig fühlen.

Das Stonewall Inn im Jahr 1969: Ein Zufluchtsort im Fadenkreuz

Das Stonewall Inn im New Yorker Greenwich Village war in vielerlei Hinsicht ein Zufluchtsort; er war einer der wenigen Orte, an dem Schwule, Lesben, Drag Queens und Cross-Dresser nicht ausgeschlossen waren – und doch waren die Gäste Ärger gewohnt. Wie Sylvia Rivera, Teilnehmerin der Stonewall Riots und Transgender-Aktivistin, in einer Rede erzählte, war die Bar regelmäßig Zielscheibe von Polizisten, die Schutzgeld verlangten. Durchsuchungen der Bar, so Rivera, seien von Verachtung geprägt gewesen – wer etwa mehr als drei Kleidungsstücke des jeweils nicht zugeschriebenen Geschlechts trug, wurde festgenommen und abtransportiert, erzählt die Zeitzeugin.

Doch an jenem 28. Juni vor 50 Jahren kam es anders: Die Stimmung kippte und die Besucher des Stonewall Inns begannen sich zu wehren. Etwas hatte sich grundlegend geändert. Lesben, Schwule und weitere diskriminierte Minderheiten sendeten eine klare Botschaft: Wir lassen uns nicht länger unterdrücken.

Stonewall und der CSD

Heute, 2019, hallt diese Botschaft noch immer durch die (Groß-)Städte, wenn die Fußgruppen und Wagen im Rahmen des Christopher-Street-Days (CSD) auf sich und ihre Vergangenheit aufmerksam machen. Traditionell versammeln sich dabei hunderttausende Menschen aller sexuellen Orientierungen und Geschlechter unter dem Regenbogen-Banner, um die erkämpften Freiheiten zu feiern und der Scham der Ausgrenzung mit Stolz entgegenzutreten. In München steht der diesjährige CSD unter einem besonderen Motto: „50 Jahre Stonewall – Celebrate diversity! Fight for equality!“

Denn wie Julia Bomsdorf, Sprecherin des diesjährigen CSD in München, erklärt, stehen die Paraden heute und die Geschehnisse im Stonewall Inn in einem Zusammenhang: „Aus Gedenkmärschen, die jährlich als Erinnerung an die Stonewall-Aufstände veranstaltet wurden, entwickelte sich schlussendlich die Tradition des Christopher-Street-Days, der mit sogenannten Pride-Paraden weltweit gefeiert wird.“ Entsprechend hat Stonewall für die Community eine hohe Bedeutung, sagt die Münchener CSD-Sprecherin Bomsdorf: „Während es bis dahin vorrangig um die Entkriminalisierung von Homosexualität und Forderungen nach Toleranz durch die heterosexuelle Bevölkerung ging, so führten diese Aufstände unter anderem dazu, dass Zugehörige des LGBTIQ*-Spektrums ein neues Selbstvertrauen fanden und sich weniger bemühten, sich dem heterosexuellen Mainstream anzupassen.“

Julia Bomsdorf, CSD München
Julia Bomsdorf, Sprecherin des CSD München. Foto: Michael Trammer

Ein Baustein einer Bewegung

Auch wenn die Paraden aus vielen Städten der Welt kaum mehr wegzudenken sind und die Auswirkungen des Stonewall-Aufstands somit bis in die Gegenwart reichen, hält der Historiker Erwin In het Panhuis die Bekanntheit des Aufstands in Deutschland für gering: „In der deutschen Hetero-Gesellschaft ist Stonewall meistens vollkommen unbekannt.“ Das mag, wie er in einem Artikel für das Medium queer.de ausführt, auch daran liegen, dass der Aufstand in den USA stattfand. Aber darüber hinaus gilt: Der Aufstand am Stonewall Inn war nicht gänzlich der Anfang einer Bewegung, sondern einer von vielen Bausteinen.

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So waren bereits zuvor die US-Amerikanerin Barbara Gittings und andere für Gleichberechtigung eingetreten. Doch Stonewall hatte Symbolkraft und das Potenzial, die Narrative zurückzuerobern. Zum ersten Mal konnte die aufblühende LGBT-Gemeinschaft ihren eigenen Mythos schaffen und die Definitionen der Gesellschaft verneinen. So konnte es zu einem Aufstand werden, der nicht nur die Polizei, sondern auch den Staat und die Gesellschaft anprangert und sich gegen ihre Oppressionen wehrt. „Stonewall ist mehr als die Prügelei zwischen der Szene und der New Yorker Polizei, sondern eine schwul-lesbische Zeitenwende“, sagt Historiker In het Panhuis, zeigt sich jedoch auch zwiegespalten: „Mein Kopf lehnt es ab, mich mit einem gewalttätigen Straßenkampf zu identifizieren. Mein Bauch weiß es zu schätzen, dass ich zu einer breiten und bunten Bewegung gehöre, die bewiesen hat, dass es sich lohnt, für die gleichen Rechte auch zu kämpfen.“

Erwin In het Panhuis
Erwin In het Panhuis ist Historiker. Foto: privat

50 Jahre Stonewall bedeutet beständiger Wandel

Was bleibt also 50 Jahre nach Stonewall? Einerseits gibt es immer noch Diskussionen, wie genau der Aufstand am Morgen des 28. Juni begann. So hielt sich lange der Irrtum, dass Gay-Liberation-Ikone und Drag Queen Marsha P. Johnson den ersten Stein warf – obwohl Marsha in einem Interview in den 70ern selbst angab, erst nach Beginn des Aufstands am Stonewall Inn angekommen zu sein. Diskussionen wie diese zeigen, dass der Mythos von Stonewall weiterhin in Bewegung ist.

Andererseits bleibt die jährliche Erinnerung im Rahmen der CSD-Paraden. Dass die Paraden politischen Protest mit Party verbinden, ist für Julia Bomsdorf kein Widerspruch: „Wir sehen es als wichtig an, die Bemühungen und Erfolge all der Menschen, die schon so lange für Akzeptanz und Gleichberechtigung gekämpft haben, zu ehren und zu feiern. Gleichzeitig sollten wir uns aber darauf nicht ausruhen. Weiterhin herrscht weltweit, auch in Deutschland, viel Ungerechtigkeit.“ Dass aus dem Aufstand einiger weniger innerhalb von 50 Jahren eine weltweite Pride-Bewegung mit hunderttausendfach besuchten Paraden wurde, zeigt, welchen Wandel die Community erlebt hat. Historiker In het Panhuis glaubt, dass dieser auch im Rahmen der CSDs weitergehen muss: „Den CSD darf es nicht nur deshalb geben, weil mit Gastronomen Verträge abgeschlossen worden sind. Wir brauchen keine leergelaufenen Rituale, sondern eine neu heranwachsende Szene, die artikuliert, was sie will und braucht.“

Denn dann gilt auch in Zukunft: Pride mit großem P – das ist nicht nur die Abwesenheit von Schamgefühl, es ist auch ein Monument für die, die vorher kamen.

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