Das Spiel der Wirtschaft ändert sich grundlegend. Unternehmen müssen transparenter werden und offenlegen, welche Wirkungen sie auf den Klimawandel haben und umgekehrt. Dafür hat der Gesetzgeber EU-weit strengere Richtlinien erlassen, die für alle Unternehmen künftig verbindlich sein werden. Gefragt sind neue, smarte Wellenreiter in der Stakeholder Economy.
So nennt Michael Winter, Geschäftsführer von Pool-Sparring, diese fundamentale Transformation. In ihr geht es nicht mehr nur um die Maximierung des Profits, sondern auch um die Übernahme von Verantwortung, die sich stärker am Gemeinwohl ausrichtet. Was genau das bedeutet, erklärt Michael Winter im Interview mit dem Murmann Magazin.
Sie arbeiten seit 20 Jahren als Berater im Bereich Nachhaltigkeit und Unternehmen. Schon Ihr Großvater war – wie Sie es in Ihrem Buch beschreiben – als Hamburger Kaufmann dem „Gemeinwohl“ verpflichtet. Wie unterscheidet sich die Gemeinwohlorientierung der Hamburger Kaufmänner von der heutigen Wirtschaft?
Gemeinwohlorientierung in den Zeiten als mein Vater und Großvater unternehmerisch aktiv waren war eindeutig, offensichtlich und erlebbar: Der Mitarbeiter, der seinen angemessenen Teil an der Wertschöpfung bekommt und Fürsorge erhält; die Gesellschaft, die hinsichtlich seiner Fundamente wie Bildung und Kultur Unterstützung bekommt und die Natur, die es gilt zu schützen. Gemeinwohlorientierung heute ist eine komplexe und analytische Aufgabe: Welche positiven und negativen Impacts hat das Unternehmen auf die Umwelt und Gesellschaft entlang seiner Wertschöpfungskette: Wie können die negativen Impacts vermieden und die positiven Impacts ausgeweitet werden? Dies liegt an der großen Gestaltungs- und Wirkungsrolle die Unternehmen in einer Stakeholder Economy bekommen haben.
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Sie sprechen in Ihrem Buch von „Megawellen der Zukunft“. Warum genau diese Metapher?
Wellen kann man nicht entkommen, Wellen neigen dazu, sich zu überschlagen und ihre Wirkung zu potenzieren. Und: Bei Unkenntnis der Gezeiten, der Strömungen oder der Windverhältnisse können Wellen sogar extrem gefährlich werden. Aber: Wenn wir gut vorbereitet, gut ausgerüstet sind, und wir uns mit den Wellen auseinandergesetzt haben, können wir diese Wellen problemlos reiten – und es kann sogar riesigen Spaß machen. Gleiches gilt für den Bereich Nachhaltigkeit an sich: Wer sich nicht vorbereitet, konzeptlos handelt und sich nicht auf die Welle selbst fokussiert, wird im wahrsten Sinne des Wortes untergehen. Unternehmen, die jedoch als gut geübte Wellenreiter aufs Brett steigen, können durch gute Vorbereitung jedes Wellental erklimmen und sich in der Stakeholder Economy profilieren.
Um welche konkreten Veränderungen geht es dabei? Was sind die größten Herausforderungen?
In einer sich so rasant verändernden Welt müssen auch Unternehmen umdenken – nicht nur, um selbst (wirtschaftlich) zu überleben, sondern auch, um ihren Beitrag zum Allgemeinwohl zu leisten. Denn: Die Zeiten des reinen Shareholder Values sind nun endgültig vorbei. Unternehmen können sich der Tatsache, dass sie in ein vielfältiges Umfeld mit noch vielfältigeren Stakeholdern eingebunden sind, nicht länger verschließen. Das heißt aber auch: Die Anforderungen an nachhaltiges Unternehmenshandeln werden höher. Deshalb spreche ich in meinem Buch von einer »Stakeholder Economy«, in der Transparenzwelle, Sinnwelle, Bewertungswelle und Managementwelle auf die Unternehmen zurollen. Zwei Beispiele: Während früher Bezahlung, Urlaubstage und Dienstwagen über die Zusage von potentiellen Bewerber*innen entschied, ist es heutzutage viel häufiger die Frage, welche sinnvollen Beiträge zur gesellschaftlichen Transformation man durch seine Arbeit im Unternehmen leisten kann – dieser Corporate Purpose wiederum korrespondiert immer häufiger in der Art und Weise, wie Nachhaltigkeit in einem Unternehmen gelebt wird.
Und während früher Unternehmen nur gegenüber Shareholder rechenschaftspflichtig waren, gehen die neuen Offenlegungsverpflichtungen, beispielsweise im Rahmen der »Corporate Sustainability Reporting Directive« deutlich weiter und fordern Rechenschaft gegenüber allen Stakeholdern ein. Das System, in dem sich Unternehmen bewegen und gegenüber dem sie sich verantworten müssen, wird demnach deutlich komplexer.
Wenn man PR-Broschüren und TV-Spots Glauben schenken kann, reiten Institutionen und Unternehmen die Welle der Nachhaltigkeit in den letzten 5 Jahren fast ausnahmslos mit. Wie erkenne ich als Verbraucher*in, dass es ein Unternehmen dabei wirklich ernst meint und es ihm nicht nur um Greenwashing geht?
Der Transparenzwelle sei Dank: Unternehmen müssen mittlerweile in relativ großem Umfang offenlegen, welchen Stellenwert Nachhaltigkeit in ihrem unternehmerischen Handeln einnimmt. Auch wenn es trocken klingt: Wenn Sie wissen wollen, wie ernst es ein Unternehmen mit dem Thema wirklich meint, werfen Sie einen Blick in ihre Nachhaltigkeitsberichte, die Sie in der Regel online finden. Kaum ein Unternehmen kann es sich mittlerweile mehr leisten, keinen Nachhaltigkeitsbericht zu veröffentlichen. Denn: Kein Nachhaltigkeitsbericht bedeutet in der Regel auch keine unternehmensweite Nachhaltigkeitsstrategie und schon gar keine Nachhaltigkeitsabteilung. Je transparenter ein Unternehmen kommuniziert, desto höher ist sein Commitment für Nachhaltigkeit im eignen Handeln. So zumindest unsere Erfahrung bei Stakeholder Reporting, wo wir seit Jahren Unternehmen bei genau diesem Thema unterstützen.
Was sind für mich als Unternehmer*innen die ersten Schritte, wenn ich mich dem Thema Nachhaltigkeit widmen möchte?
Wenn man nicht gleich Berater engagieren mag, dann kann es sinnvoll sein, mit Experten aus Wissenschaft, Wirtschaft und Zivilgesellschaft Kontakt aufzunehmen, um einen ganzheitlichen Blick auf das Thema zu bekommen. In unserem Joint Venture mit Murmann Publishers dem Unternehmen „Pool – Sparring mit der Zukunft“ vermitteln wir Unternehmen solche Experten. Das kann ein guter Anfang sein sich mit dem Thema zu beschäftigen.
Was kann der einzelne Angestellte im Unternehmen tun, um den positiven Impact des Unternehmens auf die Umwelt zu verbessern?
Ich denke, dass d jede*r Einzelne aktiv werden kann Im Unternehmen kann dies auch viele verschiedene Formen annehmen. Ein Beispiel: Fragen Sie im Personalgespräch den Vorgesetzen nach dem Corporate Purpose des Unternehmens. Und belassen Sie es nicht bei der Frage, sondern fragen Sie sich erstens, ob der Purpose schon ausreichend in Unternehmenshandeln transformiert wird und zweitens, wie Sie selbst dazu beitragen können, den Purpose selbst Realität werden zu lassen.
Zum Schluss eine persönliche Frage: Welches Buch haben Sie als letztes gelesen?
„Terry Eagleton: Ästhetik – Die Geschichte ihrer Ideologie.“ Denn Kunst, Ethik, Politik und Wirtschaft werden in der Regel erst einer Zusammenschau verständlich und sichtbar! Dieses Beziehungsgeflecht beschreibt der britische Professor für Englische Literatur in unnachahmlicher Weise. Beim Thema Stakeholder Economy und Nachhaltigkeit ist es ähnlich: Es sind viele unterschiedliche Perspektiven aus gesellschaftlichen Treibern, rechtlichen Anforderungen und wissenschaftlichen Erkenntnissen, die man zusammenlegen muss, um zu verstehen, dass eine neue Wirtschaft am Entstehen ist.
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Foto von Emiliano Arano auf Pexels.