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Monatelang gingen junge Menschen auf die Straße und demonstrierten für ihre Zukunft und den Klimaschutz. Stück für Stück sprangen ihnen weitere Gruppen der „For Future“-Bewegung zur Seite. Wer jedoch lange schwieg, waren die Wirtschaftswissenschaftler. Mit den „Economists4future“ hat sich nun eine Gruppe namhafter Wirtschaftsexperten aus der Deckung gewagt, die sich öffentlich für eine neue Perspektive auf die Wirtschaft einsetzen und ein Umdenken in ihrer Zunft fordern.

Einer dieser Rebellen der Wirtschaftswissenschaften ist Lars Hochmann. Er ist Professor an der Cusanus Hochschule für Gesellschaftsgestaltung in Rheinland-Pfalz und Herausgeber des Buchs „economists4future. Verantwortung übernehmen für eine bessere Welt“.

In unserem Interview erklärt Lars Hochmann, warum er sich mehr sozialökologische Substanz im Konjunkturpaket der Bundesregierung gewünscht hätte und warum er eine regelmäßige Klima-Sendung im öffentlich-rechtlichen Rundfunk begrüßen würde.

Herr Hochmann, wenn Sie aktuell auf die deutsche Wirtschaft schauen – schlägt sie sich Ihres Erachtens trotz Corona gut?

Krisen sind Lernanlässe, das gilt auch für diese. Wie gut oder schlecht aus Corona gelernt wird, ist jetzt noch nicht absehbar. Offensichtlich ist jedoch, dass dieser Tage viel gelernt werden kann über Dinge, die wir wirklich brauchen, über die Resilienz von Wertschöpfungsketten, über Demokratie wie Autokratie am Arbeitsplatz oder welchen Wert sowohl Homeoffice wie auch Flurgespräche haben können.

Sind denn die Milliarden, die die Bundesregierung aktuell als Konjunkturpaket ausgibt, richtig investiert?

Eher nein. Es wäre jetzt ein günstiger Zeitpunkt, um einerseits in eine sozialökologische und demokratische Zukunft zu investieren, andererseits um schädliche Subventionen abzubauen. Staatliche Förderung müsste geknüpft werden an die Beseitigung von gesellschaftlichen Problemen. Umgekehrt darf es Unterstützung für ökologische oder soziale Zerstörungen nicht länger geben. Jetzt ist ein guter Zeitpunkt für eine Kehre.

Welche weiteren Schwerpunkte im Konjunkturprogramm hätten Sie sich gewünscht?

Mehr sozialökologische Substanz, statt auf Biegen und Brechen das Bruttoinlandsprodukt ankurbeln zu wollen. Das Programm richtet sich weitestgehend auf die Wiederherstellung einer Vergangenheit, von der wir wissen, dass sie Teil des Problems ist. Wir lösen aber keine Probleme, indem wir deren Ursachen restaurieren. Ein Konjunkturprogramm der Zukunftsfähigkeit müsste bei den Menschen ansetzen und bei ihren Wünschen, Sehnsüchten und Hoffnungen. Kurz: Es müsste den Weg von der Wahl- zur Beteiligungsdemokratie schaffen.

Im Zuge der „Friday For Future“-Demos haben Sie sich mit weiteren Wissenschaftler*innen unter dem Schirm der „economists4future“ versammelt. Ihr Ziel: ein anderes, vor allem nachhaltigeres Wirtschaften. Die Zukunft mit Corona haben Sie aber vergangenes Jahr noch nicht absehen können. Müssten Sie Ihre Ziele nicht jetzt der neuen Gegenwart anpassen?

Es spricht Bände, dass wir das Artensterben erst dann fürchten, wenn es uns selbst an den Kragen geht. Der Klimakrise ist das Corona-Virus aber egal. Economists4future sind ein Zusammenschluss von Ökonom*innen, die als Teil der scientists4future dafür einstehen, diese Krisen endlich als Krisen ernst zu nehmen. In unserem gleichnamigen Buch plädieren wir daher dafür, unsere Vorstellung von Wirtschaft nicht wie bislang in gestrigen Begriffen einzukerkern, sondern sie von der Bearbeitung zeitgenössischer Krisen her zu entwickeln.

In Ihrem Buch schreiben Sie gemeinsam mit ihren Kollegen Uwe Schneidewind und Maja Göpel: „Wenn wir die Welt des 21. Jahrhunderts anders denken wollen, dann heißt das zu allererst: Wirtschaft anders zu denken – und sie auch tatsächlich anders zu gestalten.“ Was genau meinen Sie damit?

Die großen Krisen unserer Zeit hängen eng zusammen mit einer ökonomischen Praxis, die nur auf den eigenen und kurzfristigen Vorteil bedacht ist und dafür diesen Planeten und alles Leben auf ihm ausbeutet. Das muss sich ändern. Eine nachhaltige Gesellschaft ist nicht ohne eine neue Wirtschaft zu haben. Diese neue Wirtschaft muss solidarischer und frei vom Zwang zur Kapitalverwertung sein, sie muss Effizienzgewinne zur Reduzierung der Ressourcenintensität nutzen, sie muss Stoffstromkreisläufe schließen, rückbaufähig sein, die Biodiversität fördern und und und. Die sozialökologische Forschung ist viel weiter als die Green-Growth-Chimären der Gegenwart.

Wer ist verantwortlich für die konkrete Ausgestaltung dieses neuen Wirtschaftens?

In demokratischen Verhältnissen: alle, die können und wollen. Das heißt, wir brauchen starke Allianzen aus den zahlreichen Bindestrich-for-futures – inklusive solchen Pionier-Unternehmungen, die schon heute einen echten Unterschied machen. Wer sich reflektiert einmischen will, ist hiermit herzlich eingeladen, mir eine E-Mail zu schicken. Wir brauchen mehr Hochschulkooperationen, bei denen es nicht egal ist, dass es sie gibt.

In den sozialen Netzwerken formierten sich viele Fürsprecher*innen für eine Sendung über die Umwelt und den Klimawandel, kurz #KlimaVor8 genannt. Reicht die Berichterstattung in den normalen Nachrichten nicht aus?

Weil es keinen Normalzustand der Gesellschaft gibt, ist es entscheidend, wofür wir Öffentlichkeit schaffen. Neue Normalitäten brauchen neue Öffentlichkeiten. Wir müssen aufhören, die falschen Dinge als normal zu erachten. Wir haben uns kulturell an so viel Quatsch, Selbstsucht und Zerstörungslust gewohnt. Auf die Sendung #KlimaVor8 freue ich mich sehr und danke den Initiator*innen. Jetzt geht es um Institutionsgestaltung, das heißt: die zweite Staffel müssen die Öffentlich-Rechtlichen produzieren.

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