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Die großen Fragen stellen sich oft im Kleinen. Denn auch, wenn Dirk von Gehlens Buch „Meta. Das Ende des Durchschnitts“ (Verlag Matthes & Seitz) nach ziemlicher Sachbuch-Nischenliteratur klingt, ist es im Gegenteil der Versuch, einen großen Wandel einzuordnen: den der Digitalisierung, speziell die Bedeutung von Personalisierung und die Berücksichtigung des Kontexts bei der Verwendung von Daten.

Die digitale Realität ist schon persönlich(er)

Was abstrakt klingt, ist für jeden Smartphone-User per se längst Alltag: Facebook-Anzeigen werden ortsspezifisch ausgespielt und Spotify schlägt Musik auf Grundlage unseres Hörverhaltens vor. Möglich wird das u. a. durch die Daten, die diese Unternehmen von uns gesammelt haben, um auf deren Basis ihren Service für uns zu verbessern – Stichwort Big Data.

Doch es sind eben nicht nur digitale Services, die sich zuschneiden lassen; auch in der oft als „Offline-Welt“ bezeichneten Sphäre – aka dort, wo für uns keine sichtbare App hinterlegt ist – nimmt die Bedeutung von personalisierten Angeboten zu.

Denn: Wer hat schon Lust, bei der Staudurchsage im Radio Sperrungen durchzuhören, wenn nur eine einzige für die eigene Fahrt relevant ist? Oder die umfassende Aufzählung, welche Anschlusszüge bei der eigenen verspäteten Bahnfahrt noch erreicht werden, wenn man sich selbst nur für einen interessiert? Kurzum sollte es auch Unternehmen mit einem nicht-digitalen Geschäftsmodell darum gehen, die Informationen weniger mit der Gießkanne zu streuen, sondern zielgerichtet und auf die einzelne Person, ihre Bedürfnisse und den Kontext, in dem sie sich befindet, zuzuschneiden.

Max Mustermann war gestern – oder auch morgen?

Dafür nimmt von Gehlen das Bild vom Ende des Durchschnitts, kurz gesagt also: Weg von einem Produkt für Max Mustermann, hin zum individuellen Angebot. Denn das Durchschnittsprodukt ist zumeist einfach nur das, was am wenigsten aneckt und damit noch lange weder gut noch beliebt, so von Gehlen.

Diese Tendenz weg vom Mainstream konnte man in den vergangenen Jahren gut bei TV-Serien beobachten. Denn da waren es um die Jahrtausendwende die US-Pay-TV-Sender wie HBO, die für aneckende, mehrdimensionale Serien wie „Sex and the City“ oder „Sopranos“ sorgten, während viele andere TV-Formate einfach nur so seicht sein sollten, dass sich niemand beschwerte. Heute, unter den Vorzeichen der Digitalisierung, in der jeder ortsunabhängig nach eigenen Vorlieben Inhalte schauen kann, hat der Drang nach serieller Schlichtheit nachgelassen – die 20.15 Uhr-heile-Welt-Serie ist eben ein Prinzip der (alten) Gießkannen-Welt. Vielmehr sind es die Streaming-Riesen wie Netflix und Amazon selbst, die nischige, ausgezeichnete Produktionen in Auftrag geben – von „House of Cards“ bis „Transparent“. Notiz am Rande: Gerade Netflix hat mit „House of Cards“ extrem auf den Kontext gesetzt und eine Serie produziert, die den Netflix-Zuschauern sehr wahrscheinlich gefällt – weil sie wussten, was sie in der Vergangenheit gesehen haben.

Wohlgemerkt aber ging es bei „House of Cards“ um das große Ganze der hauseigenen User, gewissermaßen also doch wieder um den Durchschnitt – und eben nur bis zu einem gewissen Grad um persönlich zugeschnittenen Inhalt. Bis auch einzelne Handlungselemente auf persönliche Vorlieben realisiert sind oder ein Jamie Fox-Fan ihn in der Rolle des Frank Underwood sieht und nicht Kevin Spacey, dauert es wohl noch etwas.

Und da sind wir bei einem Punkt, den von Gehlen nicht vergisst zu erwähnen: Gerade dann, wenn Daten so massenhaft wie heute erhoben werden, liegt nichts näher, als doch den Durchschnitt in den Blick zu nehmen. „Es braucht eine sehr stabile Gesellschaftsordnung, die verhindert, dass Abweichungen von der Norm negativ sanktioniert werden“, schreibt von Gehlen. Das bedeutet: Jene, die Daten auswerten, haben dafür auch eine Verantwortung. Denn nur, weil jemand von der Norm abweicht, ist das eben noch lange nicht abnormal.

Buchcover: Matthes & Seitz Berlin

Buchcover: Matthes & Seitz Berlin

„Meta“ mal meta gesehen

„Meta“ ist nicht das erste Buch von Dirk von Gehlen und auch nicht das erste, das ich von ihm gelesen habe. Die Vorgänger „Mashup – Lob der Kopie“ sowie „Eine neue Version ist verfügbar“ drehen sich gleichermaßen wie „Meta“ um die Auswirkungen der Digitalisierung auf die Kultur und die Gesellschaft. Daran knüpft „Meta“ an, was nicht heißt, dass man die beiden Vorgänger gelesen haben muss, um „Meta“ zu verstehen. Es öffnet sich an vielen Stellen auch für jene, die von außerhalb der Medien- und Kulturbranche kommen; etwa beim Interview mit dem Datenanalyst des FC Bayern München.

Gleichzeitig gilt auch: Wer in der Medienbranche zu Hause ist und ein Gefühl dafür bekommen will, wie sich die eigene und andere Branchen weiterentwickeln, sollte dieses Buch lesen. Denn auch, wenn wir mittendrin in der Digitalisierung sind, heißt das nicht, dass wir sie einfach nur über uns ergehen lassen sollten – wir sollten sie auch verstehen wollen.

 

Dieser Beitrag erschien in ähnlicher Weise zuerst auf der mittlerweile eingestellten Seite So. Digi. Pop..

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