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Er gehört zu den größten Mahnern des Turbo-Kapitalismus in Deutschland: Günter Faltin. Als Akademiker baute er den Arbeitsbereich Entrepreneurship an der Freien Universität Berlin auf, als Gründer erhielt er den Deutschen Gründerpreis. Ein Leben, das wirtschaftliche Theorie und Praxis kennt, führt oft zu Büchern, so auch bei Faltin. Sein neustes trägt den vielsagenden Titel „David gegen Goliath. Wir können Ökonomie besser“. Faltin fordert darin uns alle zum Kampf gegen die übermächtig erscheinenden Konzerne auf, um einen Wandel hin zu einer gerechteren und nachhaltigeren Wirtschaft anzustoßen – und dem übermäßigen Konsum Einhalt zu gebieten.

Im Interview erklärt Günter Faltin, warum er Marketing für ein großes Problem hält und wie sich die Wirtschaft bis 2030 verändert haben sollte.

Herr Faltin, welche drei Aspekte machen denn für Sie einen guten Unternehmer aus?

Erstens, sich für ein wirklich gutes Produkt einzusetzen. Zweitens, dieses Produkt so preisgünstig wie möglich zugänglich zu machen. Und drittens, nicht nur seinen privaten Gewinn im Auge zu haben, sondern sich den Problemen seiner Zeit zu stellen: dem unverantwortlichen Raubbau an der Natur oder den sozialen Zerreißproben, den eine auf kurzfristige Gewinnmaximierung fixierte Ökonomie erzeugt.

Sie selbst haben die Teekampagne gegründet. Sehen Sie da Ihre Ansprüche an gute Unternehmer verwirklicht?

Die Teekampagne schafft es, hochwertigen Tee – trotz Bio-Qualität – deutlich preiswerter als die Konkurrenz anzubieten, den Erzeugern faire Preise zu bezahlen und ein umfangreiches Wiederaufforstungsprojekt zu finanzieren. Um Ihre Frage also zu beantworten: Ja, die Teekampagne erfüllt diese Ansprüche. Denn sie setzt auf die wachsende Zahl von Konsumenten, die verstanden haben, dass das teuerste an einem Produkt heutzutage die Marketingaufwendungen und die Werbung sind. Und es sind genau diese Kosten, die die Teekampagne niedrig hält.

In Ihrem Buch „David gegen Goliath“ rufen Sie zu einer neuen Form des Unternehmertums auf. Welchen Wandel erhoffen Sie sich dadurch?

Wir brauchen andere Unternehmensziele, eine neue Werthaltungen der Unternehmen. Schauen Sie: An historischen Maßstäben gemessen leben wir in einer Überflussgesellschaft, der Mangel ist beseitigt. Das Problem ist: Wir nehmen es nicht zur Kenntnis. Und wir bekommen wenig davon ab. Wo der Mangel beseitigt ist, wird er künstlich erzeugt. Die Herstellung von Waren ist heute nicht mehr der Engpass, der Absatz ist es. Deshalb wird eine riesige, teure Verkaufsmaschinerie aufgefahren, um die Umsätze zu erhöhen.

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Sie meinen damit das Marketing.

Ja, das Marketing, das uns von der Bushaltestelle bis zum Smartphone überall verfolgt und auffordert, noch mehr zu konsumieren. Unser steigendes Konsumniveau ist dabei Vorbild für die bevölkerungsreichen Länder der Erde mit einem bisher noch vergleichsweise niedrigen Konsum. Es wächst jedoch die Einsicht, dass wir den Prozess immer weiteren quantitativen Wachstums aufhalten müssen. Dazu brauchen wir andere wirtschaftliche Akteure, mit anderen Werthaltungen und Zielen, mit anderen Sichtweisen und intelligenteren Lösungen, als wir sie heute vorfinden. Solche Werthaltungen sind vorhanden, bilden wahrscheinlich sogar die Mehrheit in der Gesellschaft, nur in der Ökonomie trifft man sie bisher selten.

Egal ob in Hamburg, Berlin oder anderen deutschen Städten – es entstehen überall Startups, die Nachhaltigkeit fest in ihren Produkten oder der Unternehmensphilosophie verankert haben. Das müsste Sie doch freuen.

Das Bewusstsein wächst, dass wir nachhaltig wirtschaften müssen, das stimmt und freut mich. Nachhaltigkeit ist gut, aber Produkte nachhaltig herzustellen reicht nicht aus. Wir müssen mit weniger Wachstum und Konsum auskommen. Ja, auch weniger Konsum. Das muss man in aller Klarheit sagen – auch und gerade, weil es eine unpopuläre Forderung ist und sie deshalb als unrealistisch dargestellt wird. Unser Planet hält es nicht aus. Es ist die Höhe unseres Konsumniveaus, die nicht nachhaltig ist. Der sogenannte Earth Overshoot Day macht das deutlich. Er beziffert, an welchem Tag im Jahr die Menschen so viele Ressourcen verbraucht haben, wie durch die Natur selbst in einem Jahr neu produziert werden. Im Jahr 2000 war der Overshoot Day weltweit noch der 1. November, im Jahr 2018 bereits der 1. August. Für Deutschland war dieser Tag im Jahr 2018 sogar schon der 2. Mai. Wir verbrauchen also nicht nur mehr, als wir zur Verfügung haben, sondern der Prozess beschleunigt sich sogar noch. Wir müssen an den Konsum ran.

Blicken wir mit Ihnen einmal ins Jahr 2030: Wenn es nach Ihnen ginge, wie sollte sich unsere Wirtschaft bis dahin verändert haben?

Es wird die Erkenntnis an Boden gewinnen, dass wir mit deutlich weniger Konsum auskommen müssen, statt weiter auf immerwährendes Wachstum zu setzen. Die unternehmerische Aufgabe der Zukunft heißt damit: Wie kann man den Übergang zu einem Weniger so attraktiv machen, dass er möglichst einvernehmlich gelingt? Dazu brauchen wir Alternativen, wie wir Ökonomie gestalten können. Das Entstehen einer Wirtschaftsopposition also. Mit überzeugenden Beispielen, die solche Alternativen sinnlich erfahrbar machen, statt nur antiökonomische oder antikapitalistische Rhetorik zu verbreiten. Mit weniger, aber besseren Produkten, die haltbarer sind, intelligenter, nachhaltiger und sozial verträglicher.

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