Wenn Fluten ganze Landstriche verwüsten und Sommer die Dürre nach Deutschland bringen, wird schnell der Klimawandel als ein Grund aufgeführt. Doch neben dem Versuch, Folgen dieser Ereignisse zumindest zu mildern, stellt sich die langfristige Frage, wie es weitergehen soll, um das Klima zu schützen. Dies auch mit Blick auf den aktuellen Bericht des Weltklimarats. Einer der Vordenker in diesem Bereich ist Wirtschaftswissenschaftler Franz Josef Radermacher, dessen Buch „Der Milliarden-Joker“ gerade erschienen ist. Dieses Buch gibt Antworten auf viele Fragen, die der Bericht des Weltklimarats aufwirft. Der Untertitel des Buches legt dabei die Messlatte hoch: „Wie Deutschland und Europa den globalen Klimaschutz revolutionieren können“. Nichts anderes schwebt Radermacher mit seinem Joker für die Weltrettung vor: freiwillige Kompensationsmaßnahmen, von Unternehmen wie Privatpersonen gleichermaßen.
In unserem Interview erklärt Franz Josef Radermacher, wie und wo der Milliarden-Joker ansetzen soll, um die Klimakatastrophe zu verhindern.
Herr Radermacher, in Ihrem Buch fordern Sie, dass Unternehmen sich freiwillig klimaneutral stellen sollen. Derartige Maßnahmen klingen aber nach Arbeit und Arbeit bedeutet Geld, das Unternehmen aufwenden müssen. Warum also sollten sie das tun?
Die absehbaren Probleme und Verwerfungen im Klimabereich bergen in Verbindung mit den Defiziten bezüglich der Umsetzung der 17 Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen und der nach wie vor rasanten Zunahme der Weltbevölkerung enorme Risiken, auch für uns in den reichen Ländern. Potenziell könnte sehr viel Wohlstand vernichtet werden. Dies betrifft insbesondere wohlhabende Menschen und Eigentümer, die wiederum enormen Einfluss im Bereich der Wirtschaft und der Unternehmen haben. Die Eigentumstitel der wichtigen Entscheider sind bedroht. Außerdem drohen bei einer weiteren Zuspitzung der Klimaprobleme massive Eingriffe des Staates in Lebensverhältnisse und Lebensstile. Das wird heute bereits in der Diskussion um Fahrverbote deutlich. Auch hier ist der wohlhabende Teil der Weltbevölkerung wie auch die Eigentümerseite der Unternehmen wesentlich betroffen. Zugleich kann dieser Kreis von Akteuren im Klimabereich für relativ wenig Geld eine Stabilisierung der Situation herbeiführen. Damit nimmt er auch seine Verantwortung nach dem Verursacherprinzip wahr, denn gerade dieser Akteurskreis ist für hohe individuelle Klimagasemissionen verantwortlich – sie sind die Top-Emitters. Es gibt also gute Gründe, aktiv zu werden.
Sie plädieren für Klimakompensation, die aber von vielen Umweltschützern und Aktivisten als Greenwashing bezeichnet wird. Was stimmt da nun?
Die Kompensation von CO2-Emissionen ist grundsätzlich kein Greenwashing und auch kein Freikauf. Was aber natürlich sein kann, ist, dass Kompensationen nur behauptet werden, aber in Wahrheit gar nicht stattfinden. Um das zu verhindern, sind hohe Standards und entsprechende Zertifizierungen erforderlich, für die ich konsequent eintrete.
Ist die Kritik an der Klimakompensation dann also unberechtigt?
Umweltschützer und Aktivisten diskutieren die CO2-Kompensation häufig in einem anderen Kontext als er im Buch gewählt wird, nämlich als Alternative zur Umsetzung von Klimaschutzmaßnahmen vor Ort bei uns in Deutschland. Nun wäre es in der Tat problematisch, wenn die reiche Welt im Klimabereich vor Ort nichts tun würde und sich ausschließlich darauf verlegen würde, in anderen Teilen der Welt für Kompensationen zu zahlen. Aber das ist nicht die Realität, ist nicht meine Position und entspricht auch nicht den gesetzlichen Vorgaben. Wir haben ja massive gesetzliche Regelungen, denen sich vor Ort niemand entziehen kann. Deshalb plädiere ich im Buch auch nur in dem Umfang für Klimakompensation, als Akteure dies freiwillig und additiv tun zu dem, was sie ohnehin tun bzw. tun müssen. Dabei trete ich aber sehr für die Freiheit von Entscheidungen im freiwilligen Bereich ein. Jeder muss selber wissen, ob er sein Geld, das er freiwillig additiv einsetzt, für zusätzliche Klimaschutzaktivitäten in Deutschland nutzt oder alternativ z. B. in Aufforstung in Afrika investiert. Hier wird man sich die Frage stellen, wie viel Klimaeffekte man für sein Geld bekommt und ob man mit seinen Anstrengungen zugleich anderen Menschen helfen kann oder nicht, ob also sogenannte Co-Benefits entstehen. Außerdem wird man sich fragen, ob die Weltklimaprobleme dadurch gelöst werden, dass leistungsstarke Akteure in Deutschland sich ausschließlich in Deutschland engagieren und damit im besten Fall die deutschen Emissionen auf null reduzieren.
Was raten Sie?
Aus meiner Sicht macht es viel mehr Sinn, mit seinem Geld zu verhindern, dass es in Indien und Afrika beim weiteren Wohlstandsaufbau zu denselben Entwicklungen wie in China kommt. China emittiert heute mehr CO2 als die USA, Europa und Russland zusammen. China hat heute pro Kopf höhere CO2-Emissionen als wir in Europa. Sollte eine ähnliche Entwicklung in Indien und Afrika stattfinden, brauchen wir über Klimaschutz nicht mehr zu reden. Die Situation wäre dann hoffnungslos.
Und was passiert, wenn Unternehmen sich nicht beteiligen?
Wenn Unternehmen und andere leistungsstarke Akteure nicht rasch und mit hohem Wirkungsgrad aktiv werden, ist aus meiner Sicht das 2°C-Ziel nicht mehr zu halten. Meines Erachtens müssen die Maßnahmen dieser Akteure auch die internationale Kompensation umfassen, sonst ist eine Zielerreichung unmöglich. In der Folge eines Versagens würden wir international mit all den Hässlichkeiten konfrontiert werden, die aus einem sich verschärfenden Klimawandel resultieren.
Sie fordern aber nicht nur den Einsatz von Unternehmen, sondern auch von all jenen Privatpersonen, die für hohe Emissionen sorgen – durch Wochenendtrips mit dem Flugzeug beispielsweise. Wie und wo sollen die alle Bäume pflanzen, um ihre Klimasünden zu kompensieren?
Meines Erachtens sollen all die Akteure aktiv werden, die einen ausgeprägten ressourcenintensiven Lebensstil pflegen, und zwar als Privatpersonen und als Eigentümer von Unternehmen, von Organisationen, als Veranstalter von Events, etc. Dies gilt dann ähnlich auch für die Sitzgemeinden entsprechender Unternehmen und wohlhabender Personen. Bei ihnen liegt die Verantwortung für die höchsten Emissionen, hier sollte deshalb in großem Stil kompensiert werden, auch in Wahrnehmung der Verantwortung gemäß Verursacherprinzip, aber auch, um das Schlimmste auf dem Globus im eigenen Interesse zu verhindern.
Und wo soll diese Kompensation stattfinden?
Nach Schätzungen der UN kann u. a. auf degradierten Böden in den Tropen auf etwa einer Milliarde Hektar aufgeforstet werden. Und das ist nur eine von mehreren Ansätzen, wie man klug kompensieren kann. Wir haben insofern keinen Mangel an Kompensationsmöglichkeiten, die dann außerdem noch in Form von Co-Benefits den Menschen vor Ort helfen und der Umsetzung der Agenda 2030 der Vereinten Nationen dienen und sich auch positiv auf die weitere Bevölkerungsauswicklung auswirken. Unser Problem ist vielmehr die Bereitschaft von Personen, eigenes Geld einzusetzen. Dieses Geld wird, wenn man Zertifikate stilllegt, letztlich als verlorener Zuschuss zu entsprechenden Projekten gezahlt. Genau das brauchen wir, und genau das ist auch ein richtiger Schritt hin zu mehr Suffizienz, weil dann nämlich ein Teil des eigenen Geldes in globale Entwicklung und globalen Klimaschutz fließt und nicht mehr selber verausgabt werden kann. Damit entfallen dann auch die aus üblichem Konsum resultierenden negativen Folgen für die Umwelt und das Klima.
Welche weiteren Maßnahmen empfehlen Sie Privatpersonen, wenn sie sich klimaneutral stellen wollen?
Es gibt einen großen Katalog von Möglichkeiten, zu dem auch die Stilllegung von Zertifikaten des europäischen Zertifikatesystems gehört. Wenn man die internationale Seite und insbesondere das Erreichen von Co-Benefits für Menschen und Natur in Entwicklungsländern als Ziel verfolgt, dann gibt es die großen Themen Aufforstung, Landwirtschaft mit Humusbildung und vielfältige Ansätze im Bereich erneuerbarer Energie, z. B. synthetische Kraftstoffe auf Methanolbasis. Es bietet sich an, diese im Sonnengürtel Afrikas und anderer sich entwickelnder Länder zu produzieren.
Wie viele Privatpersonen und Unternehmen müssten in etwa Ihren Ansätzen folgen, damit ein Effekt für das Klima spürbar wird?
In Deutschland werden heute im freiwilligen Markt etwa fünf Millionen Tonnen CO2 pro Jahr kompensiert. Wir würden weit über die Hälfte der deutschen Emissionen, nämlich fünfhundert Millionen Tonnen kompensieren, wenn es gelingen würde, dieses Volumen um den Faktor einhundert zu vergrößern. Dies würde z. B. erreicht, wenn sich genügend viele Bürger und Unternehmen beteiligen, z. B. zehn Millionen Bürger pro Jahr mit je zehn Tonnen Kompensation, was einem geschätzten finanziellen Volumen von etwa 1 Milliarde Euro pro Jahr entsprechen würde. Wenn dann 100.000 Unternehmen je 4.000 Tonnen zu etwa 40.000 Euro pro Jahr kompensieren würden, wären wir bei weiteren 400 Millionen Tonnen CO2 Kompensationen bei vier Milliarden Kosten. Insgesamt ergibt das 500 Millionen Tonnen CO2 Einsparungen bei einem finanziellen Einsatz von etwa 5 Milliarden Euro. Damit wären mehr als die Hälfte der deutschen Klimagasemissionen kompensiert. Die eingesetzten finanziellen Mittel würden vor Ort mindestens einer Verdoppelung der deutschen Entwicklungshilfe entsprechen, weil der Wirkungsgrad der entsprechenden Projekte und der Wirkungsgrad der eingesetzten Hartwährungsbeträge deutlich höher wäre als die heutigen Aufwendungen in der Entwicklungszusammenarbeit.
Titelbild: pexels.com; Foto F. J. Radermacher: © Kilian Blees