Subscribe & Follow:

Ein Pärchenfoto auf dem Schreibtisch oder der Mittagspausenklatsch über das aktuelle Date – für heterosexuelle Menschen ist beides völlig normal. Für LGBT – kurz für: Lesbian, Gay, Bisexual, Transsexual – kann das jedoch eine Überwindung bedeuten. Denn woher kann er oder sie wissen, ob der Kollege homofeindlich ist oder der Chef etwas gegen Transpersonen hat? Dass es jedoch Vorteile für Arbeitnehmer und Unternehmen gleichermaßen hat, wenn die Sexualität oder Geschlechtsidentität angstfrei am Arbeitsplatz thematisiert werden kann, ist die Überzeugung von Albert Kehrer. Er ist Mitgründer der Stiftung „Prout at Work“, die dazu beitragen möchte, dass die Arbeitswelt offen ist – und ein Coming-out am Arbeitsplatz möglich.   

In unserem Interview erklärt „Prout at Work“-Mitgründer Albert Kehrer, wieso auch Unternehmen von einem LGBT-freundlichen Arbeitsumfeld profitieren und wieso ein Coming-out am Arbeitsplatz oftmals noch schwer fällt.

Herr Kehrer, welchen Einfluss hat eine Sensibilität für LGBT-Bedürfnisse auf die Wirtschaftlichkeit eines Unternehmens?

Studien belegen, dass die Leistungsfähigkeit von Mitarbeitern, die in einem Umfeld arbeiten, in dem offen mit LGBT-Themen umgegangen wird, höher ist als in jenen Unternehmen, die LGBT nicht unterstützen. Ein offener Umgang mit der eigenen sexuellen Orientierung, der geschlechtlichen Identität am Arbeitsplatz ist auf der einen Seite für den Mitarbeiter mit vielen Vorteilen verbunden. Durch höhere Arbeitszufriedenheit, einem Gefühl der Zugehörigkeit und Identifikation mit dem Unternehmen, mehr Kreativität sowie Leistungskraft trägt der Mitarbeiter aber auch auf der anderen Seite zur Wirtschaftlichkeit und Innovationskraft des jeweiligen Unternehmens bei. Diese Offenheit wirkt sich dann natürlich auch positiv auf die Außenwirkung eines Unternehmens aus und man darf auch nicht vergessen, dass die LGBT-Gruppe eine besonders kaufkräftige ist.

Seit zwei Jahren gibt es in Deutschland die Ehe für Alle, auch homosexuelle Paare dürfen heiraten. Warum ist das Coming-out am Arbeitsplatz dann noch ein Thema?

Laut einer aktuellen Studie der Boston Consulting Group sind 85 Prozent der LGBT-Talente in Deutschland bereit sich zu outen – tatsächlich tut es am Arbeitsplatz aber nur knapp jeder Dritte. Im internationalen Vergleich landet Deutschland hierbei auf den hinteren Rängen. Woher das alles kommt?

Sagen Sie es uns.

Ein Coming-out ist ein andauernder Entwicklungsprozess, d. h. bei allen neuen Kontakten, bei jedem Chef etc. gilt es neu zu entscheiden, ob und wie die eigene sexuelle Orientierung und/ oder geschlechtliche Identität offengelegt wird. Die Angst vor Zurückweisung, Diskriminierung und einem Knick in der beruflichen Laufbahn ist aufgrund fehlender Offenheit und Sensibilität immer noch enorm hoch, da die Unternehmenskultur in Bezug auf LGBT-Themen in Deutschland in vielen Bereichen noch traditionell konservativ ist und auch Vorurteile weiterhin bestehen. Deshalb kann ein Coming-out nach wie vor ein großes Thema sein, das auch zwei Jahre nach der Ehe für Alle nicht vom Tisch ist.

Sie haben die „Prout at Work Foundation“ 2013 gegründet. Hat sich Ihre Arbeit in der Zeit bereits verändert, blicken Unternehmen seitdem bereits anders auf Diversity-Themen?

Mein subjektiver Eindruck lässt mich diese Frage bejahen. Immer mehr Unternehmen erkennen die Möglichkeiten, die hinter Diversity Management stecken: Auf gesellschaftliche sowie wirtschaftliche Fragen und Veränderungen bietet Diversity Management Antworten. Zum Beispiel liefern divers gemischte Teams bessere Ergebnisse und lösen Probleme schneller. Wichtige Aspekte, um in unserer globalisierten Welt weiterhin erfolgreich und wettbewerbsfähig am Markt bestehen bleiben zu können. Indem sich ein Unternehmen aktiv für Diversity-Themen einsetzt, präsentiert es sich außerdem auch als attraktiver Arbeitgeber, dem Offenheit und Wertschätzung wichtig ist. Diese Entwicklung ist über die vergangenen Jahre immer stärker geworden und wird sich wohl auch in den nächsten Jahren so fortsetzen.

Monatlich informiert werden: Noch mehr Hintergründe rund um Wirtschaft und Gesellschaft gibt es in unserem Newsletter. Jetzt abonnieren!

Zu Ihren Hilfestellungen für Unternehmen gehört etwa der „LGBT*IQ out of the Box”- Workshop. Was vermitteln Sie in Programmen wie diesem?

Generell sind wir der Überzeugung, dass mit Aufklärungsarbeit und Sensibilisierung für LGBT am Arbeitsplatz ein wichtiges Fundament für weitere Gleichstellungsarbeit gelegt wird. Unsere „LGBT*IQ out of the Box” zielt genau darauf ab. Über eine Reihe an Fragen wird verdeutlicht, dass der Arbeitsalltag für homosexuelle Menschen keineswegs derselbe ist wie für heterosexuelle. Wenn Sie sich vorstellen in einer gleichgeschlechtlichen Beziehung zu sein, würden Sie zum Beispiel Ihren Partner ohne Bedenken zu Firmenfeiern mitbringen? Sich vor Ihrem Büro mit einem Kuss voneinander verabschieden? Kennen Sie Kollegen, Führungskräfte oder deren Angehörige, die ebenfalls offen in einer gleichgeschlechtlichen Beziehung sind? Wären Sie 100 Prozent sicher, dass Ihre Art zu lieben Ihnen nicht eventuell beruflich einen Nachteil einbringt? Die Übung lädt dazu ein, die eigene Perspektive einmal umzudrehen und ich bin immer wieder überrascht, wie stark die Resonanz auf die Übung ist – bei den Teilnehmern findet auf unkomplizierte Weise ein Umdenken statt.  Dabei ist sie so gestaltet, dass Unternehmen, den Sensibilisierungsworkshop ohne unsere Hilfe durchführen können. Sie werden also mit allem ausgestattet was sie brauchen.

„Nach nur fünf Jahren haben sich uns und über 40 Unternehmen, wie nennen sie Proutemployer, angeschlossen, wir waren in der Lage Mitarbeiter anzustellen und uns zunehmend zu professionalisieren.“

Welche Erfolge konnte die Stiftung schon verzeichnen?

Sie müssen sich vorstellen, dass mein Vorstandkollege Jean-Luc Vey und ich „Prout at Work Foundation“ als ehrenamtliches Engagement auf die Beine gestellt haben – jeder von uns neben dem eigenen Beruf, in dem bisschen freie Zeit, die sich finden ließ. Nach nur fünf Jahren haben sich uns und über 40 Unternehmen, wie nennen sie Proutemployer, angeschlossen, wir waren in der Lage Mitarbeiter anzustellen und uns zunehmend zu professionalisieren.

Albert Kehrer von der Stiftung „Prout at Work“.
Albert Kehrer ist Mitgründer der Stiftung „Prout at Work“. Bild: Jan Patrick Margraf

Wie kam der Zusammenarbeit zustande?

Die meisten unserer Kooperationspartner sind durch unsere Arbeit auf uns aufmerksam geworden und von sich aus auf uns zugekommen: Sie waren zum Beispiel Teilnehmer bei einem unserer Deep Dives – unserer Intensivworkshops zu akuten LGBT-Themen, oder haben unsere Konferenz besucht oder aber waren Gast auf unserem „Dinner Beyond Business“. Durch unseren Einsatz und unsere Unterstützer waren wir in der Lage unseren Wirkungskreis von der reinen Netzwerkarbeit auf unternehmensweiten Input auszuweiten. Auch tragen wir durch unsere Veröffentlichungen unser Know-how zunehmend in die Gesellschaft und werden auch hier Schritt für Schritt zu einer Quelle für Wissen- und Hilfesuchende.

Was würden Sie Arbeitnehmern raten, die bei am Arbeitsplatz wegen ihrer Sexualität oder Geschlechtsidentität diskriminiert werden?

Zunächst finde ich es wichtig, dass sich die Person eines bewusst macht: Sie ist nicht im Alleingang dafür verantwortlich, gegen die gegen sie gerichtete homo-, trans- und/oder interphoben Reaktionen vorzugehen. Nach dem Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, kurz AGG, ist es Aufgabe des Arbeitgebers, die Diskriminierung zu beseitigen. Je nach Heftigkeit der Diskriminierung suchen Sie das Gespräch mit der Person, die sie diskriminiert; am besten gemeinsam mit einer Person Ihres Vertrauens. Melden Sie den Vorfall aber auch Ihrem Arbeitgeber, konkret dem Vorgesetzten und/oder dem Betriebsrat. Zudem muss jedes Unternehmen nach dem AGG eine Beschwerdestelle haben, bei der man diese Fälle melden kann. Das firmeninterne LGBT-Netzwerk ist auch oft eine passende Stelle, um Hilfe zu bekommen. Wenn Sie unsicher sind, wenden Sie sich an Institutionen wie die Antidiskriminierungsstelle des Bundes, die Charta der Vielfalt oder eben Prout At Work – wir können auch mediierend eingreifen und weiter unterstützen. Wichtig ist es zudem, diskriminierende E-Mails zu archivieren und die Inhalte und die getroffenen Vereinbarungen aller Gesprächen im Nachgang zu dokumentieren. Vergessen Sie bei dem Ganzen aber nicht, sich um sich zu kümmern. Das Schlimmste, was Ihnen passieren kann, ist das Gefühl, nun alleine gegen die Welt zu sein.

Sie mochten den Artikel? Dann folgen Sie uns doch bei Twitter, Facebook oder LinkedIn und bleiben Sie über neue Themen auf dem Laufenden!

Durch die weitere Nutzung der Seite stimmen Sie der Verwendung von Cookies zu. Weitere Informationen

Cookies erleichtern die Bereitstellung unserer Dienste. Mit der Nutzung unserer Dienste erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Cookies verwenden.

Schließen