Gestensteuerung für Whiteboards, die sich selbst per Voice Recognition schreibenden Meeting-Notizen und das Holo-Deck für die Mittagspause – kommen diese Zukunftsvisionen bald in unsere Büros? Bestimmt! Aber bis dahin wird unsere alltägliche Arbeitsumgebung—vorausgesetzt, sie wurde vor nicht allzu langer Zeit mal erneuert — dem heutigen Office sehr ähnlich sehen: Wir finden hier schöne, offene Flächen mit vielen Schreibtischen, kleine gemütlichen Nischen hier und da oder eine Bibliothek für konzentriertes Arbeiten und viele kleine, nicht buchbare Teamarbeitsräume. Alles nichts Neues (falls doch, dringend mal in unser neues Buch „New Workspace Playbook“ reinschauen).
Und wo bleibt sie nun, die Revolution? Sie wird kommen, aber eben nicht am Schreibtisch oder im Konferenzraum, sondern zwischen unseren eigentlichen Büros. Genau dort, wo wir heute oft einen Flur oder ein Treppenhaus finden, welches unsere verschiedenen Arbeitsflächen verbindet. Dort, wo derzeit der Teppich durch kahle, schnöde, nicht entflammbare Kacheln ersetzt wird, wo die Feuertüren zuschlagen und es zu sehr hallt, um anständig zu telefonieren – genau dort ist die Zukunft zuhause!
Austausch über das Kern-Team hinaus – aber wie?
Wir holen kurz aus: Neues Arbeiten heißt vor allem mehr zusammenarbeiten und sich mehr austauschen. Das schaffen wir in unseren Teams mittlerweile recht gut. Wir sitzen zusammen, ohne Wände dazwischen, wir koordinieren uns mit Kanban-Boards und WhatsApp, arbeiten vielleicht mit teambasierenden Methoden wie Design Thinking und das morgendliche Stand-Up Meeting klappt auch immer öfter. Wir tauschen Ideen aus, wissen voneinander, wer wo dran ist und was der Stand ist. Dieser Austausch im Team ist wichtig. In Zeiten verzwickterer Problemstellungen, kürzerer Reaktionszeiten und autarker, selbstorganisierter Teams ist aber ein anderer Austausch mindestens genauso wichtig: der Austausch zwischen den Teams. Der Austausch innerhalb eines ganzen Bereiches, mit 100 oder 200 Kollegen, von denen man vielleicht noch nicht einmal die Vornamen kennt. Geschweige denn weiß, ob diese Kollegen vielleicht am gleichen Thema sitzen oder die Lösung für unser Problem schon parat haben.
Es ist von absoluter Wichtigkeit, dass wir uns mehr austauschen. Synergien finden ist schön und gut, aber der schnelle Fluss von relevanten Informationen ist überlebenswichtig. Nicht mehr alles kann auf das nächste Quartalsmeeting warten. Und es gibt so viele Dinge mit so vielen Kollegen auszutauschen, dass wir auch gar nicht mehr die Zeit haben, uns gegenseitig mit dreißig-, sechzig- oder neunzigminütigen Meetingblocks den Arbeitstag zuzumauern. Austausch muss schnell, kurz und spontan stattfinden und wir müssen mehr nebenher mitbekommen, um uns bei für relevanten Themen einklinken zu können. Natürlich müssen wir auch weiterhin in Ruhe am Schreibtisch arbeiten, aber die Zeit des Austausches wird zunehmend wichtiger.
Klassische Begegnungsorte haben Mankos
Das Problem: Jeder sitzt mit „seinem“ Team auf „seiner“ Fläche und geht mit „seinem“ Team mittags in die Kantine. So wie alle 1000 Kollegen auch. Die Anzahl an Kollegen ist an der Essensausgabe so hoch und die Begegnungsdauer z. B. in der Tablett-Schlange so kurz, dass dieser Ort nicht als Begegnungsort, als Ort des Austausches funktioniert. Es ist wie mit Hochzeitsgesellschaften: Sobald die Gruppe zu groß wird, bilden sich wieder die üblichen Untergrüppchen und ein Austausch mit weniger bekannten Gästen wird wieder schwieriger (die wissenschaftliche Erklärung hierzu lässt sich unter „Dunbar-Zahl“ googeln). Es fehlt an einem überschaubaren Ort, an dem wir mit einer mittleren Gruppengröße in immer wieder unterschiedlichen Konstellationen zusammenkommen können.
Und genau dieses Problem wird zukünftig vermehrt zwischen den Arbeitsflächen gelöst werden, also dort, wo heute der Flur oder nichts ist. Diesem Raum zwischen in sich funktionierenden Bereichen wird eine ganz neue Bedeutung zukommen. Das sind die Flächen, auf denen sich entscheidet, ob wir eine Ansammlung autarker Teams oder ein „Team of Teams“ sind. Und das wird man ihnen auch ansehen, denn diese Bereiche werden schon bald ganz anders aussehen als heute. Obwohl es auch heute schon tolle Ansätze gibt, wie diese Bereiche gestalten werden können, etwa – wie auf dem Titelbild zu sehen – bei Lufthansa Technik. Noch hat dieses Konzept keinen stehenden Namen, aber wir versuchen den Begriff „Marktplatz“ zu etablieren.
Der Marktplatz im Unternehmen
Auf dem Marktplatz trafen sich alle. Auch Bürger, die eigentlich nichts miteinander zu tun hatten. Hier wollte oder musste jeder hin. Hier gab es die Lebensmittel. Hier hat man erfahren, was gerade los ist. Und egal wo man hinwollte, meist musste man ohnehin über den zentralen Marktplatz. Und falls nicht, hat man diesen Schlenker oft eingebaut, denn hier lief man garantiert jemandem über den Weg – und Austausch war damals so wichtig wie heute. Das Grundkonzept des Marktplatzes lässt sich eins zu eins auf die Arbeitsumgebung übertragen, um den Austausch zwischen Teams zu unterstützen. Wir brauchen also: eine offene, große aber überschaubare Fläche, zentral, zwischen unseren täglichen Stationen liegend. Diese Fläche sollte die attraktivste im Gebäude sein, sprich die lebendigste und gemütlichste, mit dem besten oder einzigen Kaffee. Und hier gibt es Ecken und Nischen, die für Zweiergespräche, größere Diskussionen, aber auch für das Schreiben von Mails am Laptop geeignet sind.
Ein gut gemachter solcher Marktplatz ist ab Tag eins voll mit den Kollegen. Hier ist man gerne, hier trifft man jeden, hier lernt man sich kennen, hier passiert das, was wir über unseren strukturierten Austausch und unsere Meetingblocks nicht mehr hinbekommen: schneller, relevanter Austausch, zufällige Begegnungen und Erkenntnisse, und ein größeres, gemeinsames Wir-Gefühl. Diese neuen Prioritäten in unserem Arbeitsalltag erleben wir schon heute. Und zukünftig werden wir dies auch unseren Büros ansehen – wenn wir sie verlassen und in das heutige Treppenhaus treten.
Titelbild: Lucia Bartl