Kiel und Hamburg, zwei Großstädte im Norden und meine zwei Heimatorte: Kiel im Privaten, Hamburg im Beruflichen. Gut eineinviertel Stunden mit der Bahn trennen die beiden Städte. Wenn es gut läuft. Denn als Bahn-Pendler habe ich eigentlich alles erlebt, was man auf der Schiene erleben kann: fehlendes Trinkwasser, das die Weiterfahrt verhindert, einen Polizeieinsatz im Fahrradabteil und allerlei weitere Absurditäten. Fünf Geschichten aus über 30.000 gefahrenen Schienenkilometern im Jahr.

Besonderer Oberleitungsschaden

Meine Hauptstrecke führt mitten durch Schleswig-Holstein. Flora und Fauna in Gleisnähe sind von Wiesen, Nutztieren und versprengten Bäumen geprägt und von einem gibt es mehr als genug: Wind. Was wiederum ab und an für kuriose Zwischenfälle in Gleisnähe sorgt. Besonders im stürmischen Herbst. So hielt mein Regionalexpress eines Abends für ungefähr eine halbe Stunde im schleswig-holsteinischen Bordesholm. Der Zugchef: „Sehr geehrte Damen und Herren, unsere Weiterfahrt verzögert sich um circa 30 Minuten. Grund dafür ist ein Drache in der Oberleitung.“ Statt Daenerys Targaryen aus Game of Thrones war es allerdings nur der Drachen eines Schulkindes, der sich in Gleisnähe selbstständig gemacht hat.

Bahn-Pendelei bei Not(fall)wasser

Sommer 2019, Hamburg ächzt unter hochsommerlichen Temperaturen. Der InterCity 2226 von Passau nach Kiel hat bereit auf halber Strecke in Mainz vor der Hitze kapituliert, mit 30-minütiger Verspätung trifft der Ersatzzug in Hamburg ein, in dem Wagen 3, 4, 7, 8, 10 und 14 „heute nicht für Reisende geöffnet“ seien, so die Durchsage. Bleiben also noch Wagen 5, 6, 9, 11 und 14. Ich versuche mein Glück in Wagen 5. Auf den ersten Blick scheint alles in Ordnung: Klimaanlage läuft und zwischen Kreuzfahrer-Koffern und Kinderwägen finde ich noch einen Sitzplatz. Nun also weiter ins kühlere Kiel – denke ich zumindest. Wir stehen aber weiterhin. Zehn Minuten. Zwanzig Minuten. Irgendwann meldet sich der Zugchef mit einer Ansage, die ich so vorher noch nie gehört habe: „Sehr geehrte Damen und Herren, ich habe schlechte Nachrichten. Wir haben nicht genügend Trinkwasser an Bord. Für die Fahrt nach Kiel müssten wir 16 Kartons Wasser vorhalten, wir haben aber nur drei an Bord. Deshalb endet dieser Zug heute außerplanmäßig in Hamburg Hauptbahnhof.“ Als ich deutlich später als geplant in Kiel ankomme, stelle ich fest: kühler als im Süden – also in Hamburg – ist es hier auch nicht.

Die Geister, die man rief

Ich habe zum Feierabend in einem Abteil eines ICE Platz genommen. Mit mir im Abteil sitzt eine Journalistin, die an einer Reportage arbeitet. Ich komme akustisch gar nicht umhin, ihrem Telefonat zuzuhören. Am anderen Ende der Leitung scheint eine große Eisenbahngewerkschaft zu sein, es geht um das Thema „Personalmangel bei der Bahn“. Im Hamburger Hauptbahnhof bleibt der Zug länger als geplant stehen. Irgendwann folgt zwangsläufig die Hiobsbotschaft. In diesem Fall: „Sehr geehrte Damen und Herren, aufgrund von kurzfristigem Personalausfall werden wir Hamburg Hauptbahnhof mit einer Verspätung von circa 30 Minuten verlassen.“ Sich selbsterfüllende Reportagen, ein journalistisches Genre mit Zukunft.

Der Fahrradwagen, ein Bahn-Pendler, zwei Erlebnisse

Besonders komplex wird es dort, wo zwei Verkehrsmittel zusammenkommen. Schauplatz Fahrradwagen. Wo Klapprad, Rennrad und Trekkingrad in Vollbeladung auf die Tücken den Bahnverkehrs treffen. Szenario 1: Hannover, Sommer 2018. Der Fahrradwagen von InterCity 2083 ist ausgebucht, trotzdem haben sich mehrere Radfahrer ohne Reservierung in den Wagen geschleust. Der Zugführer weist auf die Reservierungspflicht hin, die Radfahrer sind sich keiner Schuld bewusst und antworten achselzuckend mit Indifferenz. Die anschließende Durchsage des Zugführers ist norddeutsch-pragmatisch: „So lange die Fahrradfahrer ohne Reservierung den Zug nicht verlassen, fahren wir nicht weiter.“ Die Fahrradfahrer reagieren wütend, man „wolle ja schließlich auch nach Berchtesgaden“. Am Ende wird als Schlichter die Bundespolizei gerufen, die Fahrradfahrer verlassen nach 45 Minuten den Zug.

Szenario 2: Hamburg Dammtor, wieder InterCity 2226. Ich sitze im ersten Wagen, wundere mich schon bei Einfahrt in den Bahnhof über die hohe Geschwindigkeit des Zuges. Zwar verpasst der Zug nicht – wie in Wolfsburg oder Gütersloh – den gesamten Bahnhof, die ersten vier Wagen sind aber nicht mehr pünktlich zum Stehen gekommen. Alle Fahrgäste sollen, so die Ansage, nach hinten durchgehen und den Zug über einen Wagen verlassen, der noch am Bahnsteig steht. Problem: Der Fahrradwagen an der Spitze des Zuges steht auf offener Strecke, und die Fahrräder durch drei Waggons zu schieben, ist kaum möglich. Die Lösung für die Gruppe Radfahrer im ersten Wagen: Ein außerplanmäßiger Stopp des Fernverkehrszugs in Pinneberg, von wo die Gruppe mit der S-Bahn die Rückfahrt nach Hamburg antreten soll – dabei war man dem Ziel schon so nahe. 

Als Bahn-Pendler auf Kaffee-Suche

Erster Advent, ICE 906 von Berlin nach Hamburg-Altona. Sonntags um kurz nach neun Uhr verspüre ich nach der Abfahrt Durst auf einen Kaffee. Auf dem Weg zum Kaffeekauf ins Bordrestaurant schlägt mir, je näher ich komme, ein in der Weihnachtszeit wohlbekannter Geruch entgegen – süßlich, leichte Kardamom-Note, alkoholisch. Im Bordrestaurant angekommen erfahre ich den Grund für die weihnachtliche Atmosphäre: Die Wasserversorgung im Bordrestaurant ist defekt, das einzige verfügbar Heißgetränk ist der saisonal angebotene Glühwein. Und findet morgens um neun reißenden Absatz – auf dem machte ich jedoch kehrt und verzichte auf Warmgetränke.

Titelbild: pixabay