Ein Buch, zwei Leser: Nadine Wedel und Alexander Karl haben beide „Das Nest“ von Cynthia D’Aprix Sweeneys (Klett-Cotta) gelesen. Ein Roman, der sich für eine ausführliche Rezension geeignet hätte – aber liest sowas heute noch wer?
Daher gibt’s unsere Eindrücke und Meinung zu dem Buch „Das Nest“ als Chat.
Alex: Lass uns mal über „Das Nest“ schnacken. Das haben wir beide ja unabhängig voneinander gelesen (Memo an mich: Vielleicht sollten wir einen Lesekreis in der Redaktion starten). Darin geht’s um Leo, seine Familie und Geld. So gut, so gewöhnlich, oder?
Nadine: Gute Idee, mit dem Lesekreis! ? Gewöhnlich würde ich die Familie Plumb nicht bezeichnen. Jedes Familienmitglied hat seine ganz eigene Art, verbunden mit der (ich nenne es mal) „Gier“ auf das Familienerbe.
Alex: Du weißt doch, ich habe ein Herz für provokante Fragen 😉 Also es geht ums Familienerbe, genannt „Das Nest“, das die meisten der Familienmitglieder schon irgendwie verplant haben. Wäre da nicht der Bad Boy mit Everybody’s-Darling-Allüren Leo, für dessen Eskapaden die Kohle genutzt werden muss. Mochtest du Leo?
Nadine: Gute Frage. Sagen wir mal so, Leo wurde mir im Laufe der Geschichte irgendwie immer sympathischer. Das Bild, welches von ihm im Laufe der Erzählung gezeichnet wurde, hat bei mir den Eindruck hinterlassen, dass er doch nicht so ein riesengroßes Arschloch war, wie ich am Anfang dachte. Eher ein Arschloch light also. Wie ging es dir damit?
Alex: Na ja, wir lernen ihn ja beim Fremdgehen kennen. Das erweckt nicht unbedingt Vertrauen. Und wir erfahren ja Stück für Stück, dass er a) ziemlich durchtrieben (haha) ist und b) einiges auf dem Kerbholz hat. Die Grundfrage, ob er das für ihn ausgegebene Geld in das Nest zurückzahlt oder nicht, ist für mich eine moralische. Aber es wird ja sowieso mit verschiedenen Ebenen der Moral gespielt: Was soll der Partner über aufgenommene Schulden wissen etwa. Oder: Ist es legitim, als sentimentalen Gründen etwas zu klauen?
Nadine: Da hast du Recht. Und nicht nur Moral, sondern auch Anerkennung ist ein großes Thema in der gesamten Familie.
Alex: Ach ja?
Nadine: Ja, da wäre das Buhlen um Anerkennung der Geschwister bei Leo, um ein Beispiel zu nennen.
Alex: Ja, stimmt. Aber was ich richtig spannend finde, ist der Aufbau des Buchs.
Nadine: Um dich zu zitieren: Ach ja?
Alex: Haha, ja. Der Aufbau erinnert mich an ein verwobenes Netzwerk (aka ein Nest) mit der Familie Plumb im Zentrum, aber auch mit Personen außerhalb der Kernfamilie. Abwechselnd werden die Kapitel aus den jeweiligen Perspektiven erzählt, sodass man erfährt, was in den Köpfen aller Protagonisten vor sich geht. Ich mag sowas ja eigentlich recht gerne. Du?
Nadine: Wenn man sich in den Text eingegroovt hat, was bei mir bei einem solchen Erzählstrangs immer etwas dauert, finde ich es auch gut. Und auch das Tempo, das gegen Ende immer mehr an Fahrt gewinnt, mochte ich. Die Autorin Cynthia D’Aprix Sweeneys soll ja für ihr Debüt einen Millionenvorschuss erhalten haben, findest du das gerechtfertigt?
Alex: Millionen? ? Also das Buch ist wirklich gut, keine Frage! Und so etwas zu schreiben, dauert natürlich auch. Aber Millionen … sagen wir mal so: Ich hätte mich da an ihrer Stelle auch nicht darüber beschwert. Die Frage ist aber natürlich: Würdest du das Buch weiterempfehlen?
Nadine: Ich fand es war eine kurzweilige Lektüre, ich würde es weiterempfehlen, zwar nicht als Lieblingsbuch, aber dennoch als schöne Lektüre. Und irgendwie kommt man an dem Buch auch überall vorbei. In den Buchhandlungen steht es derzeit prominent platziert. Aufgrund des Covers hätte ich mir aber etwas anderes darunter vorgestellt. Ging es dir damit genau so?
Alex: Ich finde das Cover auch total super, aber diesen Inhalt hätte ich dahinter nicht vermutet; es ist eigentlich eine Familiengeschichte, die viel moderner und erwachsener ist, als ich das Cover wahrnehme. Und in Sachen Empfehlung: Ja, würde ich empfehlen, aber mit dem Hinweis, dass es einige Seiten braucht, um in der Story wirklich anzukommen. Dann läuft es aber.
Cynthia D’Aprix Sweeney: „Das Nest“, 19,95 Euro, Klett-Cotta
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Titelbild: panthermedia.net/steve byland