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Grünes Licht statt Greenwashing? Seit Jahren schon begleitet Dr. Katharina Reuter den Weg zu einer nachhaltigeren Wirtschaftswelt in Deutschland. Im Interview erklärt die Geschäftsführerin des Bundesverbands Nachhaltige Wirtschaft die Hürden der sozial-ökologischen Transformation und wie man die Unternehmen erkennt, die den Wandel ernst nehmen.

Frau Reuter, Sie sind Mitgründerin der Grünen Jugend und sind bereits mit 18 Jahren als jüngste Abgeordnete in die einen Bezirksverordnetenversammlung in Berlin gewählt worden. Was hat Sie angetrieben, so früh in die Politik zu gehen?


Ich bin in einem Haushalt aufgewachsen, in dem schon immer über Politik diskutiert wurde. Der Auslöser für mein persönliches Engagement war eine Gedenkstättenfahrt nach Auschwitz, da war ich 15 Jahre alt. Das hat mich sehr mitgenommen, aber auch den festen Entschluss in mir ausgelöst, dass ich mich aktiv in unsere Gesellschaft einbringen möchte. Da es damals noch keine Jugendorganisation der Grünen gab, haben wir sie eben gegründet –
und mich hat die politische Dimension aller unserer Handlungen bis heute nicht losgelassen.

Der Slogan des von Ihnen geleiteten Bundesverbands Nachhaltige Wirtschaft lautet: „Wir transformieren Wirtschaft“ – welche ganz konkreten Transformationsschritte braucht es jetzt? Und welche Akteur*innen?


Wir müssen unser komplettes Wirtschaftssystem umbauen. Für die sozial-ökologische Transformation braucht es mit Blick auf Umwelt- und Klimaschutz natürlich die deutliche Minderung von CO2-Emissionen. Hier müssen wir noch viel schneller werden – und dabei stehen der massive Ausbau der Erneuerbaren Energien (inklusive Speicher), die Wärmewende und die – zuletzt immer lauter eingeforderte – Mobilitätswende im Fokus. Konkrete Forderungen wären hier zum Beispiel ein Tempolimit, ein ambitioniertes Effizienzgesetz und ein Sanierungsgipfel. Mit Blick auf die sozialen Transformationsschritte sind unter anderem soziale Innovationen stärker zu fördern. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir dafür auch die neuen transformativen Wirtschaftsverbände in ihrer Rolle stärken müssen! Es liegt doch auf der Hand, wie wirkmächtig die Beharrungskräfte der fossilen Vergangenheit immer noch sind – hier müssen wir den Stimmen der progressiven Wirtschaft viel öfter zuhören! #LobbyInGut

Oft hört man, dass Nachhaltigkeit eine Führungsaufgabe sei. Was kann ich als einzelne*r Angestelle*r tun, um das Thema Nachhaltigkeit an meinem Arbeitsplatz voranzutreiben?


Es ist schon richtig, dass es auch das Commitment von der Chefin oder dem Chef braucht, wenn eine Nachhaltigkeitsstrategie fest im Unternehmen verankert werden soll. Aber natürlich kann jede*r Einzelne*r etwas beitragen – zum Beispiel kann die Belegschaft im Rahmen einer Taskforce Nachhaltigkeit eigene Ideen einspeisen. Und natürlich innovative Lösungen wie Jobrad-Leasing oder Mobilitätsbudget statt Dienstwagen aktiv einfordern. Ansonsten sind auch Gespräche in der Kaffeepause über nachhaltigen Konsum etwas, was die Kolleg*innen weiterbringen kann.

Dr. Katharina Reuter. Foto: Joerg Farys


Welche Fähigkeiten brauchen wir in einer nachhaltigen Wirtschaft auf Seiten der Arbeitnehmer*innen?


Es braucht vernetztes Denken. Ich sehe das immer besonders krass bei den beiden großen Transformationsthemen Digitalisierung und Nachhaltigkeit. In großen Unternehmen (aber auch Verbänden oder Institutionen) gibt es für jedes Thema eine Abteilung – bloß, die reden nicht miteinander und bringen dadurch die Themen auch nicht in eine enge Verbindung. Genau das wäre aber nötig. Bei meinen Vorträgen merke ich auch immer wieder, dass es ein Umdenken bei den Arbeitnehmer*innen braucht, dass wir künftig wirtschaftlichen Erfolg nicht mehr nur in monetären Kennzahlen messen werden: Auch die sozialen und ökologischen Nachhaltigkeitsleistungen machen unternehmerischen Erfolg aus!

Viele der Bücher aus unserem Verlagsprogramm befassen sich mit einer nachhaltigen Wirtschaft und den planetaren Grenzen – angefangen bei Hans-Christian Binswanger Mitte der 2000er-Jahre. Wir scheinen also frei nach Roman Herzog weniger ein Erkenntnis-, als ein Umsetzungsproblem zu haben. Wie kommen wir aus diesem Dilemma heraus? Und wie gehen wir Beharrungskräften um, die im alten System verhaftet sind?

Diese Frage treibt mich definitiv um. Obwohl ich auch immer wieder erschrecke, dass es doch noch viele Wissensdefizite gibt, gerade jetzt in Vorbereitung auf die Umsetzung der CSRD in den Unternehmen. Nach der Studie des Rats für Nachhaltige Entwicklung wirtschaften heute weniger als 1 Prozent der Unternehmen in Deutschland ganzheitlich nachhaltig. Der gerade veröffentliche Sustainability Transformation Monitor 2023 bestätigt, dass es an der Umsetzungsdynamik hapert. Ich denke, es liegt an der Bequemlichkeit von uns Menschen – wir verändern uns erst durch Schmerz – oder durch extrem positive Anreize. Die Beharrungskräfte, die im alten System verhaftet sind – ich beobachte hier viel Greenwashing und Greenwishing. Daher wäre meine klare Empfehlung, diesen Kräften nicht mehr so viel Raum zu geben. Ganz konkret könnte das so aussehen, dass neben dem O-Ton der klassischen Industrieverbände immer auch ein O-Ton aus den transformativen Wirtschaftsverbänden eingeholt wird. Das würde helfen!

Die zentrale Frage dabei ist immer: Ist Nachhaltigkeit im Kerngeschäft des Unternehmens verankert?

Mittlerweile ist Nachhaltigkeit auch zum Marketing-Argument geworden. Woher weiß der/die Verbraucher*in, dass es ein Unternehmen mit dem Thema wirklich ernst meint, und nicht nur neue Absatzmärkte erschließen will?

Die zentrale Frage dabei ist immer: Ist Nachhaltigkeit im Kerngeschäft des Unternehmens verankert? Also: Gestalte ich mein Produkt/meinen Produktionsprozess/meine Dienstleistung nach nachhaltigen Kriterien, vermeide CO2-Emissionen, setze mir neue Ziele – und berichte transparent darüber? Oder mache ich nur schöne grüne CSR-Projekte drumherum, also hier einen Blühstreifen, da eine Spende an den Sportverein? Vom Wittenberg-Zentrum für Globale Ethik habe ich folgende einfach Formel zu dem Thema gelernt: Schädigung vermeiden first, Wohltätigkeit second.

Zum neuen Jahr ruft das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) eine neue Kampagne zur Stärkung von Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) ins Leben. Das übergreifende Motto:
„Lernen. Handeln. Gemeinsam Zukunft gestalten.“
Ziel ist es zum einen, die zahlreichen Akteurinnen und Akteure sichtbar zu machen, die sich bereits seit Jahren erfolgreich und aus ihrem inneren Antrieb heraus für eine nachhaltige Gesellschaft engagieren. Mit Veranstaltungen und Netzwerk-Treffen will das BMBF den Austausch zwischen ihnen stärken und die Chancen und Angebote dieses Netzwerks – von lokalen Terminen bis zu Lehr- und Lernmaterialien – stärker hervorheben.

Weitere Informationen: bne-jetzt.de | #bnejetzt

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