Mitte November haben sich in Glasgow die Staats- und Regierungschefs von rund 200 Staaten bei der COP26 getroffen, um globale Vereinbarungen über die Reduzierung von klimaschädlichen Treibhausgasen zu treffen – die allerdings, so UN-Generalsekretär Antonio Guterres, hinter den hohen Erwartungen zurückblieben. Wie wir das Thema Nachhaltigkeit Ganzheitlicher angehen können und welche neuen Akteurskonstellationen Auswege aus der Stagnation bieten könnten, erläutert Prof. Torsten Weber, Inhaber des Lehrstuhls für Nachhaltigkeitsmanagement an der CBS International Business School in Köln, im Interview mit dem Murmann Magazin.
Professor Weber, welche Ergebnisse hätten Sie sich im Abschlussdokument der COP26 über die beschlossenen Maßnahmen hinaus gewünscht?
Grundsätzlich finde ich es wichtig und richtig, dass die Weltgemeinschaft diesen Schritt zu mehr Nachhaltigkeit gehen will. Das Problem an solchen internationalen Staatentreffen ist allerdings, dass Organisationen wie die Vereinten Nationen kaum kollektiv bindende Entscheidungen treffen können, sondern vom Umsetzungswillen der jeweiligen Mitgliedsstaaten abhängig sind und bis auf Naming und Shaming kaum Sanktionsmöglichkeiten bestehen.
Ganz konkret würde ich mir wünschen, dass Artikel 6 des Weltklimaabkommens von Paris noch stärker in den Fokus gerückt wird – insbesondere die Kompensationsmöglichkeit zwischen Staaten. Wenn die Möglichkeit, dass einzelne Staaten die Klimaschuld von anderen Staaten kompensieren können, in ganz konkrete Maßnahmen gegossen wird, wären wir für den globalen Klimaschutz einen großen Schritt weiter.
Was wäre der konkrete Nutzen dieses Kompensationshandels zwischen den Staaten?
Wir werden das Klimaproblem nie in den Griff bekommen, wenn wir nicht zusätzlich durch Kompensation zwischen Nord und Süd die unterschiedlichen Pfade, auf denen die Staaten unterwegs sind, angleichen. Reduktion ist zwar nach wie vor das Primärziel, aber gerade für Wachstumsstaaten deutlich schwerer zu realisieren als für westliche Wohlstandsgesellschaften. Wir werden es deshalb nicht schaffen, nur durch Reduktion und technische Innovation von Hundert auf Net Zero zu kommen.
Deshalb müssen wir als westliche Staaten dafür sorgen, dass beispielsweise afrikanische Staaten vor Ort regenerative Energien fördern und ausbauen, statt auf vermeintlich billige, aber klimaschädliche Energieträger zu setzen – das müssen wir politisch unterstützen und am Ende vermutlich finanziell mittragen. Deshalb sind Subventionen von Nord nach Süd eine wichtige Stellschraube. Hier hat die COP26 mit ihrer Abschlusserklärung einen guten ersten Schritt gemacht. Nun kommt es auf die Umsetzung an.
Mit der Ampelkoalition haben wir in Deutschland voraussichtlich eine neue politische Konstellation. Welche Chancen, aber auch welche Gefahren sehen Sie in dieser Verbindung mit Blick auf das Thema Nachhaltigkeit?
Die Ampelkoalition umfasst zumindest mit Blick auf die Kernkompetenzen der Parteien alle drei Dimensionen von Nachhaltigkeit: Die FDP bespielt das Thema Ökonomie und Digitalisierung, die SPD hat einen Blick auf den sozialen Aspekt und die Grünen sind stark im Bereich der Ökologie. Die Herausforderung wird sein, die Interessenlagen zu harmonisieren und eine Triple-Bottom-Line einzuziehen, damit alle drei Themen gleichberechtigt bearbeitet werden und keins zu kurz kommt. Entscheidend wird am Ende aber nicht das Koalitionspapier sein, sondern die Umsetzung. Besonders wichtig wäre mir vor allem, dass die neue Koalition die Potentiale der Digitalisierung für die Nachhaltigkeit erkennt und stärkt. Das könnte für Deutschland ein wichtiger Standortfaktor werden.
In dem Buch „Schwarz auf Grün“, das Sie zusammen mit Caroline Bosbach geschrieben haben, machen Sie sich dafür stark, dass auch Unternehmen mehr Verantwortung im Kampf gegen den Klimawandel übernehmen. Dabei haben es einige Unternehmen leichter als andere – ein eCommerce-Unternehmen kann deutlich einfacher klimaneutral werden als ein Autohersteller. Wie können wir den unterschiedlichen Bedürfnissen gerecht werden?
Die meisten Unternehmen haben überhaupt keine Wahl mehr – sie müssen das Thema Nachhaltigkeit umsetzen. Einerseits – siehe EU-Taxonomie, Lieferkettengesetz oder ESG-Kriterien – aufgrund regulatorischen Drucks, andererseits, weil auch der Konsument bei der Produktwahl immer stärkeres Augenmerk auf Nachhaltigkeit legt. Mit Blick auf das genannte Beispiel müssen wir das Thema Nachhaltigkeit reframen – weg vom Horrorszenario der hohen Kosten und der bedrohten Märkte, hin zu den Möglichkeitsräumen, die Nachhaltigkeit als Innovationstreiber und Marktvorteil bietet. Allerdings müssen wir die Unternehmer noch stärker in die Pflicht nehmen, denn das Thema Klimawandel ist schon seit 30 Jahren auf unserer Agenda, viele Unternehmen bereiten sich aber erst jetzt auf die grüne Transformation vor. Auch das ist Aufgabe der Politik, die mit Leitplanken den Weg zu einer nachhaltigen Transformation ebnen kann. Um auf die Ausgangsfrage zurückzukommen: Der Autohersteller muss nicht von heute auf morgen ihr Geschäftsmodell ändern – ein guter Anfang wäre es aber, die besonders klimaschädlichen und nicht zwingend notwendigen Produkte zu eliminieren und durch klimafreundlichere Alternativen zu ersetzen. Denn eins ist klar: Wer die Augen vor dem Thema verschließt, wird früher oder später nicht mehr am Markt bestehen können.
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„Wer die Augen vor dem Thema verschließt, wird früher oder später nicht mehr am Markt bestehen können.“
Nachhaltigkeit hört nicht bei Politik und Wirtschaft auf, sondern durchzieht alle Gesellschaftsbereiche. Sie beraten die Initiative „Sports for Future“. Was sind eure Ziele?
Der Grundgedanke der Initiative ist, das Thema Klimawandel einerseits im Sport stärker zu diskutieren, andererseits aber auch ganz konkrete Lösungen für eine nachhaltige Sportwelt aufzuzeigen – von nachhaltigen Spielstätten über emissionsfreie Anreisen bis hin zu Awareness-Projekten wie Aktionstagen. Der Ursprungsinitiative der TSG Hoffenheim haben sich dann relativ schnell große Sportvereine angeschlossen, beispielsweise der FSV Mainz 05, Werder Bremen, der FC St. Pauli oder der VfL Osnabrück, aber auch Olympiasportlerinnen und -sportler wie Fabian Hambüchen oder Anni Friesinger-Postma.
Der Sport war bislang nicht unbedingt dafür bekannt, sich gegen den Klimawandel einzusetzen. Warum kann ausgerechnet der Sport eine wichtige Rolle in der Bewältigung der Klimakrise spielen?
Weil der Sport es schafft, Menschen zu vereinen und Begeisterung zu erzeugen, dafür brauchen wir nur einen Blick in die Bundesligastadien in Deutschland zu werfen. Mehr als jeder vierte Deutsche ist selbst Mitglied in einem Sportverein – wenn wir es schaffen, die Eingangs erwähnte Begeisterung bei diesen Menschen auch für das Thema Nachhaltigkeit zu wecken, ist ein großer Schritt gemacht. Zudem haben Sportler für Viele eine Vorbildfunktion. Wenn Sportler das Thema glaubhaft besetzen, hat das große Signalwirkung für den Rest der Gesellschaft und regt zur Nachahmung an.
Allerdings prallen auch im Sport teilweise Welten aufeinander – siehe die jüngste Auseinandersetzung zwischen Uli Hoeneß und Timo Hildebrandt zum Thema veganer Ernährung. Wie lässt sich zwischen beiden Polen vermitteln?
Das ist ein kompliziertes, aber extrem wichtiges Thema. An dem skizzierten Beispiel lässt sich aus meiner Sicht wunderbar ablesen, wie zwischen den Welten – in diesem Fall zwischen dem Wurstfabrikanten und dem Betreiber eines veganen Restaurants – vermittelt werden kann. Mich hat beeindruckt, wie offen Timo Hildebrandt auf Uli Hoeneß zugegangen ist und ihn in sein Restaurant eingeladen hat, ohne die Debatte weiter eskalieren zu lassen. An diesem Fall lässt sich gut ablesen, wie wir in der gesamten Gesellschaft mit dieser Polarisierung umgehen können: mit Offenheit und Kompromissbereitschaft, aber auch mit dem Anspruch, gewohnte Pfade zu verlassen und sich vom Gegenteil überzeugen zu lassen. Respekt und Sachlichkeit ist dabei die Grundvoraussetzung für jegliche Debatten – am besten mit beiden Beinen auf dem Boden der Wissenschaftlichkeit.
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Foto by Ron Lach auf Pexels.