Dänemark grenzt im Norden an Deutschland – das verrät jeder Atlas und jede Karten-App. Doch der Verlauf der deutsch-dänischen Grenze war noch nicht immer so, wie sie heute ist: 1920, vor 100 Jahren, stimmten die Bewohner in der Grenzregion ab, ob sie lieber zu Deutschland oder Dänemark gehören wollten. Diese Abstimmung forderte der Versailler Vertrag nach dem Ersten Weltkrieg. Was bedeutete diese Wahl für die Menschen in der deutsch-dänischen Grenzregion, welche Bedeutung hatte die Abstimmung für beide Nationen? Historiker Jan Schlürmann, der als wissenschaftlicher Referent am Schleswig-Holsteinischen Landtag arbeitet, hat dazu das Buch „1920. Eine Grenze für den Frieden“ (Wachholtz Verlag) veröffentlicht.
In unserem Interview erklärt Jan Schlürmann, wie die deutsch-dänische Grenze vor der Abstimmung 1920 aussah und warum freiwillige Feuerwehren den historischen deutschen Einfluss auf Dänemark zeigen.
Herr Schlürmann, eine ganze Generation ist in Europa mit dem Gefühl des nahezu grenzenlosen Reisens aufgewachsen, den Grenzübertritt merkt man da meist nur noch am wechselnden Mobilfunknetz. Wie muss man sich die Lage vor 100 Jahren in Nordschleswig vorstellen – wie haben Deutschland und Dänemark jeweils ihre Grenze markiert?
Bis 1914 war die deutsch-dänische Grenze ungefähr so „sichtbar“, wie alle anderen Grenzen zwischen europäischen Staaten der damaligen Zeit auch, nämlich tatsächlich kaum sichtbar – so wie heute. Es gab Grenzkontrollen, vor allem an Bahnhöfen, wo der meiste Personenverkehr stattfand. Die Grenze markierten ansonsten lediglich Grenzstein – Zäune gab es nicht. Im Ersten Weltkrieg befestigten die Deutschen einen Teil ihrer Grenze zu Dänemark, weil man befürchtete, dass das neutrale Dänemark eventuell doch noch auf Seiten der Alliierten in den Krieg eintreten würde, was aber nicht geschah. Unmittelbar in der Abstimmungszeit, vom Januar bis März 1920, kontrollierte eine eigens für die Abstimmung aufgestellte Polizeitruppe die Grenzübergänge im Norden nach Dänemark und im Süden nach Deutschland. Das Abstimmungsgebiet – Nordschleswig sowie Flensburg und Mittelschleswig – bildete sozusagen einen eigenen, kurzlebigen Staat zwischen den beiden Ländern. Jeder Deutsche und Däne außerhalb der Abstimmungszonen benötigte einen Passierschein.
Und dann kam die Volksabstimmung 1920. Hintergrund war der Vertrag von Versailles, der Friedensvertrag, der Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg vorgelegt wurde. Wie haben die Bewohner Nordschleswigs auf diesen Vertrag und die Volksabstimmung reagiert?
Gerüchte über eine Bereitschaft Deutschlands, über Nordschleswig offen abstimmen zu lassen, gab es schon im Oktober 1918. Deshalb waren die Menschen nicht überrascht, als in Versailles diese Abstimmung dann festgelegt wurde. Entsetzen allerdings rief die Entscheidung der Friedenskonferenz hervor, dass plötzlich auch in Südschleswig – einem rein deutsch besiedelten Gebiet – abgestimmt werden sollte. Deutsche, vor allem aber dänische Regierungsproteste konnten das schließlich verhindern, denn Dänemark wollte keine größere deutsche Minderheit auf seinem zukünftigen Staatsgebiet.
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War das Ergebnis der Abstimmung für Zeitzeugen damals erwartbar?
In groben Zügen schon: Dass Nordschleswig überwiegen dänisch gesinnt war, Flensburg und Mittelschleswig hingegen deutsch, war grundsätzlich bereits vorher klar. Allerdings gab es in diesem Gebiet immer eine größere Anzahl „national indifferenter“, also unentschlossener Wähler, deren Wahlverhalten nicht abschätzbar war. Dänische Wahlplakate warben deshalb auch auf Deutsch und deutsche Wahlplakate auf Dänisch, denn Sprache und nationale Gesinnung waren bei vielen Schleswigern nicht deckungsgleich.
Und war erwartbar, dass die gezogene Grenze respektiert wird?
Die konservativen Parteien in Deutschland hatten auch nach der Entscheidung des Versailler Vertrages 1919 immer wieder deutlich gemacht, dass sie eine Abstimmung und deren Ergebnis nicht akzeptieren würden; zeitweilig rief sie sogar zu einem Wahlboykott auf, der allerdings rechtzeitig zur Abstimmung wieder zurückgenommen wurde. Auch die Konservativen auf dänischer Seite akzeptierten das Abstimmungsergebnis – vor allem den Verbleib Flensburgs bei Deutschland – nicht und versuchten, das Ergebnis zu revidieren. Es folgten fast dreißig Jahre „Grenzkampf“ zwischen Deutschen und Dänen, der zwar meist nicht mit Gewalt, aber ansonsten mit harten Bandagen ausgetragen wurde. Erst die Bonn-Kopenhagener-Erklärungen von 1955 beruhigte die Situation und führte langsam zur allgemeinen Anerkennung der Grenze auf beiden Seiten.
Sie schreiben in Ihrem Buch, dass die Abstimmung über Nordschleswigs Zugehörigkeit von manchen Dänen als „Wiedervereinigung“ angesehen wurde. Ist das auch heute noch so?
Der Begriff wird in Dänemark auch ganz aktuell noch dazu benutzt, um dem Ergebnis der Abstimmung von 1920 einen Namen zu geben. Historisch gesehen ist er unzutreffend, da sowohl deutsche als auch dänische Historiker heute betonen, dass das Herzogtum Schleswig kein Bestandteil des Königreiches Dänemark war und deshalb 1920 auch nicht wieder werden konnte. Der Begriff eignete sich aber gut dazu, den Menschen mit dänischer Gesinnung anschaulich und auch emotional nachvollziehbar zu erklären, wie der Hoheitswechsel Nordschleswigs von Deutschland nach Dänemark zu verstehen war: für die dänisch gesinnten Schleswiger bedeutete die Abstimmung endlich „nach Hause“ zu kommen und das hieß damals heim ins Königreich Dänemark. Staatsrechtliche Fakten interessierten die Menschen da eher wenig. Heute ist es noch schwieriger, Menschen – auch in Dänemark – für historische Details zu begeistern; den Begriff „Wiedervereinigung“ jedenfalls stellt dort auch heute niemand in Frage.
Wenn eine Grenzziehung seit 100 Jahren bestand hat, verschwinden viele Spuren der Zeit zuvor. Lassen sich denn nördlich der heutigen deutsch-dänischen Grenze noch Hinweise auf die einst deutsche Zugehörigkeit finden?
Es gibt ein heute noch gut sichtbares architektonisches Erbe. Die Preußen, die in Nordschleswig ja Deutschland repräsentierten, bauten zahlreiche Schulen, Amtsgebäude und Bahnhöfe, die so auch in Westfalen oder Brandenburg stehen könnten. Leider steht bisher kein einziges unter dänischem Denkmalschutz. Als besonders „lebendiges“ Erbe aber fungiert die bis heute in Nordschleswig lebende deutsche Minderheit, die „deutschen Nordschleswiger“. Sie verfügen über ein eigenes, vom dänischen Staat anerkanntes, deutsches Schulwesen, über eine eigene Partei und andere eigene Organisationen – ganz so, wie übrigens auch die Minderheit der dänischen Südschleswiger in Deutschland. Ein – etwas kurioses, aber nützliches – Erbe aus der deutschen Zeit sind die freiwilligen Feuerwehren in Nordschleswig; im übrigen Dänemark kennt man diese Einrichtungen fast gar nicht.
Der Wachholtz Verlag, in dem das Buch von Jan Schlürmann erschienen ist, ist eine Beteiligung der Mediengruppe Murmann Publishers.
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Titelbild: pexels.com