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Heute ist Sonntag. Tag der Schachtelsätze. Und das waren beides keine Schachtelsätze. Letzterer sogar schon ein Grenzfall, überhaupt den Status eines Satzes innezuhaben, besitzt er doch so gar kein Verb, das ihm den Impetus des Prädikativen verleihen und Aktionismus einhauchen würde. Wobei ihn doch alle, die dies lesen, als Satz erkannt hätten, weil sie, allein aus dem Grund, dass dies ein Onlinemagazin ist, das Axiom setzen, hier mit Inhalten in Satzform konfrontiert zu werden, auch wenn gar nicht einmal unbedingt die Satzform, sondern die Wissensform die Grundvoraussetzung im Journalismus sein sollte, wobei die Frage berechtigt wäre, wie Wissen wohl aussehen würde, besäße es eine Art Nicht-Satzform…

Schon beginnt das Abschweifen. Denn das eigentliche Ansinnen dieses Artikels ist, sich dem Schachtelsatz zu nähern und – bestenfalls – zu einem Fazit zu gelangen, was wiederum einen Widerspruch auftäte, sobald zur Debatte stünde, ob sich die Parenthese, also der Einschub, und die Eindeutigkeit des Abschlusses als Fazit nicht ausschlössen… Wie dem auch sei, zunächst gilt es also, an das Phänomen, das ausgeleuchtet werden soll, mit einigen wissenschaftlichen Fakten heranzutreten.

In diesen Situationen lieber (k)einen Schachtelsatz

Der Schachtelsatz ist landauf landab bekannt. Vor allem, so weiß Andrea-Eva Ewels, die Geschäftsführerin der Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS), aus dem sogenannten Amtsdeutsch. Besonders auf diesem Metier gilt: „Überlange Sätze und Schachtelsätze sollten vermieden werden, da sie die Verständlichkeit erheblich beeinträchtigen. Die Sätze sollten in der Regel nicht mehr als zwei Zeilen umfassen, damit der Lesende nicht stolpert und sich am Ende des Satzes nicht mehr an seinen Anfang erinnern kann.“ Störungsfreies Lesen und einwandfreies Verstehen – darum sollte es auch in der medialen Wissensvermittlung gehen. Andrea-Eva Ewels bestätigt: „In Nachrichtenmedien wie Zeitungen geht es um Informationsvermittlung. Die Konsumenten sollen ihr Wissen erweitern, weshalb die Verständlichkeit einschränkende Schachtelsätze in diesem Bereich kontraproduktiv sind.“

Das wird auch von Journalistenseite bekräftigt. „Tatsächlich gibt es bereits Richtlinien, die die Deutsche Presse-Agentur veröffentlicht hat. Sie empfiehlt konkrete Satzlängen – so stellen 20 Wörter die Obergrenze des Erwünschten dar, bei 30 Wörtern liegt die Obergrenze des Erlaubten,“ erklärt Eva-Andrea Ewels weiter. Als Gesellschaft für deutsche Sprache fördern Ewels und ihre Mitarbeiter dieses Ansinnen. In Sprachberatungen, Seminaren und Workshops arbeiten sie an der Pflege der klaren und verständlichen deutschen Sprache.

Dennoch: Das Deutsche ist zu herrlich-verkopften Verknüpfungen fähig. „Durch die Hypotaxe als Stilmittel können zum Beispiel Schriftsteller die Grenzen zwischen einzelnen Sätzen aufheben“, unterstreicht die Geschäftsführerin der Gesellschaft für deutsche Sprache. Ob also Heinrich von Kleist, Marcel Proust – denn auch das Französische ist in seiner Parenthesefähigkeit nicht zu verachten – oder Thomas Mann: Wer sich auf die Schachtelsätze dieser Sprachakrobaten einlässt, wird merken, was sie eigentlich tun, wenn sie die Grenzen zwischen Sätzen verwischen, nämlich nichts anderes als die Mauern zwischen Gedanken einzureißen und Denken der Form zuzuführen, in der es eigentlich passiert: verschlungen-vertrackt, ineinander geschachtelt, kurz: komplex. Und genau deswegen, oder eher trotzdem und vor allem einfach, weil heute Tag der Schachtelsätze ist und jedes Phänomen auf dieser Welt auch mal ein kleines Lob erfahren sollte, folgen an dieser Stelle:

Vier Vorteile, die der Schachtelsatz mit sich bringt und die ihn in Zukunft von seiner unmittelbaren Ablehnung bewahren sollen:

  • Herausforderung annehmen!

    Der Schachtelsatz ist die Aufforderung zum Duell, die Kampfansage des Wettbewerbers, wie der Graf von Instetten, der in „Effi Briest“ dem Crampas mit der Pistole droht: Lies mich, durchdring´ meine Motive, die Gründe, aus denen ich tue, was ich tue und sage, was ich sage, die Normen, denen ich gehorche, die Zwänge, denen ich unterliege, meine leisen Möglichkeiten, wie ich versuche, daraus auszubrechen. Und mal ehrlich: Wer mag keine Herausforderungen?

 

  • Urlaubsgefühl im Hirn

    Wieso liest der Mensch? Weil er Geschichten hören will. Durchaus Geschichten, die den Leser entführen, hinwegtragen, in die Ferne schweifen lassen. Wie könnte die Ferne besser abgebildet werden, als durch den Schachtelsatz? Wer einmal „Im Schatten junger Mädchenblüte“ gelesen hat und sich darauf einließ, von Marcels Schmerz fortgetragen zu werden, hin zu alten Erinnerungen an die ganz eigene Jugend, in der man selbst begeistert war von rotem, schwarzem, blonden Haar, in das man nichts lieber getan hätte, als hineinzugreifen, einzelnen Strähnen zu folgen bis hin zu prominenten Wangenknochen unter seidig weicher Haut, an deren Gipfel sich perfekt mandelförmige Augenhöhlen anschließen, in denen sich Augen so blau wie glitzerndes Meerwasser sanft bewegen, goldgesäumte Wimpern diese Augen vor allem Leid der Welt bewahren… Wieso nicht sich einfach mal vom Schachtelsatz hinwegtragen lassen? Zweckfreies Denken florieren lassen? Ferien im Gehirn machen?

 

  • Gehirnjogging und Gedächtnistraining

    Sudoku auf dem Smartphone, Kreuzworträtsel in der Sonntagszeitung, mit den Kindern Gedichte lernen – wieso dann nicht auch Schachtelsätze lesen? Auch Andrea-Eva Ewels von der GdfS bestätigt: „Das Formulieren, aber auch das Lesen und Verstehen von Parenthesen, lehrt den Sprachnutzer den Umgang mit der deutschen Sprache und fordert das verknüpfende und strukturierende Denken.“ Wenngleich der Nutzen des Schachtelsatzes nicht unvermittelt auf der Hand zu liegen scheint, so lohnt es sich, mit ihm ein bisschen Gehirnjogging zu betreiben. Es gilt die Weisheit, die jeder von mindestens einem ungeliebten Lehrer kennt und deren Wahrheit sich bestätigt: Lesen bildet. Auch Schachtelsatzlesen. Und der Versuch, sich am Ende des Satzes an dessen Anfang zu erinnern.

 

  • Sinnlichkeit üben

    Im Film „Wolkig mit Aussicht auf Fleischbällchen“ erfindet ein mittelgenialer aber herzensguter Forscher eine Maschine, mit deren Hilfe die Stadtbewohner ein Gericht, das sie gerne essen mögen, lediglich aussprechen müssen, schon verwandelt der „Flitzem-deför“ Wasser in eben jenes Leibgericht. Leider macht sich die Konstruktion durch verschiedene unglückliche miteinander verknüpfte Ereignisse selbstständig und verfängt sich in einer riesigen Regenwolke. Das wäre nicht schlimm, solange die Maschine nicht weiter Essen produzieren würde. Mutierte Bananen, überdimensionale Donuts, Monsterspaghetti – quasi eine Zombicloud oder eine Franksteinalexa, deren Ergebnisse keine Hilfen, keine Lebens-mittel, sondern Lebens-verhinderer sind, immerhin könnte man von der nächsten Waffel erschlagen werden. Was das mit dem Schachtelsatz zu tun hat? Zuerst nichts und dann alles, denn bei genauem Hinsehen wäre der Schachtelsatz so etwas wie die notwendige Reflexion auf die angemessen proportionierte Sinnlichkeit. Blutleere saarlandgroße Steaks, die aus der Cloud kommen? Dann doch lieber ein 200 Gramm-Stück vom Weiderind, sanft gebräunt von der Grillpfanne, medium-rosarot gebraten. Wer an dieser Stelle zustimmend nickt und bereits die Textur des Fleisches im Mund spüren kann, der wird auch den Schachtelsatz in seiner Fähigkeit zur Sinnlichkeit zu schätzen wissen. Funktioniert übrigens auch in der vegetarischen Version, je nachdem, wie weit die Phantasie reicht: ob Kichererbsencurry mit kross-fluffigem Nan, erdige rote Beete mit schaumig-fädigem Meerrettich und fein-gezupften Blättchen von krauser Petersilie oder einfach grün-gemischter Salat, durchsetzt mit würzigem Rucola, feurigem Löwenzahn, leicht-bitterem Sauerampfer, gekrönt mit cremigem Ziegenkäse in einer Waldblütenhonigkruste…

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