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Das Jahr neigt sich mit einem Aufbruchsgedanken dem Ende zu: Die Reise in die Komplexität kann beginnen. Die Autoren Hinnen & Hinnen machen es möglich. Ich gleite auf einem Boot durch das Wimmelbild der Komplexität unserer verdammt komplizierten Wirklichkeit, ohne diese zu vereinfachen. Raus aus der Simplizität – rein in die Komplexität.

Während ich auf dem Wimmelbildfluss durch Gebirgszüge, Schluchten, Ebenen und Wälder fahre, erinnere ich mich an den kubanischen Einflüsterer, an den ich einst auf Kuba geriet. Eine sich hochkompliziert anfühlende persönliche Verstrickung hatte mich dorthin verleitet. Nachdem der spirituelle Helfer mir mit den Federn eines toten Hahns über den nackten Rücken strich, einen Rum hinterherspritzte und mit anderen Mächten flüsternd mehrere andere Handlungen an mir vornahm, durfte ich die Erkenntnis mit ihm teilen, die jetzt gerade, während ich durch das Wimmelbild von Christoph Gähwiler fahre, mich wieder einholt: Life is very complicated but very clear, sprach er und schaute mich mit seinen braunen, mitfühlenden Augen an.

Landkarte Reframe it

Auf der Wimmelbild-Fahrt vom Visualisierungswald zum Meer der Medien fällt mir ein, warum dieser Satz so richtig nie bei mir fruchtete: es fehlte das Reframing. In dieser Methode von Hinnen & Hinnen wird unser komplexes Leben „nicht vereinfacht, sondern sorgfältig umgestaltet und neu gerahmt“. Durch das Reframing komplexer Inhalte variieren wir unsere Perspektiven auf die Welt und erarbeiten uns so Lösungen für komplexe Situationen, ohne in die Falle der Vereinfachung zu tappen.

Die Versuchung, in diese Falle zu geraten, ist nicht nur für unsere individuelle Lebensführung relevant, sondern hat heute mehr denn je eine politische, ja zivilisatorische Relevanz. Es ist verdammt anstrengend mit dem Komplexitätsexperten Armin Nassehi der Versuchung zu widerstehen, in Links-Rechts-Schemata zu denken. Wir wollen daran festhalten, ja wir werden medial förmlich dazu gezwungen, diese und andere vereinfachenden Schemata anzulegen, um die Welt vermeintlich besser zu verstehen. Aber: „Rechts ist, wo der Daumen links ist“ und dieses Reframing bringt uns zu der Erkenntnis, dass Einordnungen dieser Art uns nicht retten werden vor der verdammt anstrengenden Komplexität unserer Wirklichkeit.

Das leicht geschriebene Buch der Gebrüder Hinnen begegnet dieser Anstrengung, die das Reframing mit sich bringt, mit wunderbaren Illustrationen, allen voran das schon erwähnte Wimmelbild. Dessen Kraft und Bedeutung liegt in dem Erfahrbarmachen des vermeintlich Nichterfahrbaren. Damit wird auch ein Machtproblem gelöst. Denn Leute, die Experten für eine Sache sind, hören wir mitunter sagen: Das ist zu komplex, das verstehst du nicht, halt‘ dich da raus. In dieser Aufforderung versteckt sich die subversive Aufforderung, sich nicht in ihr Terrain hinein zu begeben, eine Haltung, die nichts mit der Sache an sich zu tun haben muss, sondern einzig Ausdruck ihrer Machtposition ist. Durch den abwehrenden Satz mit Hinweis auf die Komplexität der Sache wird aus der Sicht des Wissensträgers die Situation durch Vereinfachung geklärt. Ein willensstarker Counterpart wird dies aber nicht akzeptieren und wird durch ein geschicktes Reframing sein Gegenüber aus der Abwehrhaltung locken. Es bricht ein Dialog an und beide setzen sich in das Hinnen & Hinnen Boot und fahren durch das Wimmelbild zur Förderung eines gemeinsamen Erkenntnisinteresses. So könnte das Miteinander in komplexen Zeiten funktionieren. Zu utopisch? Nein, denn komplexe Zeiten erfordern komplexes Miteinander, keine Abbrüche, Abkürzungen und Abschlüsse, sondern ein gemeinsames Reisen durch die Wimmelbilder des Lebens. Life is very complicated but very clear.

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