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Seit 30 Jahren arbeitet Franz Stadler, Apotheker und promovierter Pharmazeut, mit Medikamenten und in der Pharmabranche. Er weiß, wie die Arzneimittelindustrie tickt und wo die Schwachstellen in unserem Gesundheitssystem liegen. In seinem Buch „Medikamenten-Monopoly“ erklärt Stadler, wie und wo es bei unserer Medikamentenversorgung hakt – und wie die Zukunft im Arzneimittelgeschäft aussehen könnte.

In unserem Interview erklärt Apotheker Franz Stadler, warum ein Arzneimitteldepot uns bei zukünftigen Pandemien helfen könnte und wo es in Deutschlands Gesundheitswesen über die Corona-Krise hinaus hapert.

Herr Stadler, wie hat sich Deutschland in Ihren Augen bisher in der Pandemie geschlagen?

Nun, die Zahlen sprechen eine eindeutige Sprache: Die Johns-Hopkins-Universität würde uns im weltweiten Vergleich wohl ein gutes Zeugnis ausstellen. Unser Gesundheitssystem hat bisher den zusätzlichen Anforderungen im Großen und Ganzen standgehalten. Trotzdem hat es auch bei uns im System ziemlich geknirscht. Allerdings reagierte die Politik unter Pandemiedruck schnell – auch aus Eigennutz. Zum Glück war die Ökonomisierung unseres Gesundheitssystems noch nicht gänzlich abgeschlossen. So konnte man noch auf das Vorhandensein fachlicher Kompetenz vor Ort setzen.

Wie meinen Sie das?

In Windeseile wurden Corona-Gesetzespakete beschlossen, die unter anderem Bürokratie abbauten, Rabattverträge aussetzten und Zusatzvergütungen für Botendienste einführten. Plötzlich war unstrittig, dass beispielsweise Apotheken zur kritischen Infrastruktur gehören. Plötzlich hatte Effektivität Vorrang vor den Sparzielen der Krankenkassen und vor den üblichen Lobbyinteressen – allerdings nur vorübergehend und zeitlich befristet.

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Was ist Ihr Eindruck als Apotheker – was hätte besser laufen können?

Wir hätten besser vorbereitet sein können. Pandemien kommen zwar plötzlich, aber nicht unerwartet. Es gibt nationale Pandemiepläne, veröffentlicht und fortgeschrieben vom Robert-Koch-Institut, die ziemlich gut die entsprechenden Anforderungen benennen. Allerdings haperte es an der konkreten Umsetzung, die zum einen Ländersache ist und für die es zum anderen vor der Pandemie in unserem durchökonomisierten Gesundheitssystem keine Gelder gab. Außerdem wäre es gut, für unser Gesundheitssystem – und damit auch für die Arzneimittelversorgung – eine konkrete Zielvorstellung zu entwickeln, die nicht lobbygesteuert, sondern krisenfest ist.

Sie kritisieren in Ihrem Buch „Medikamenten-Monopoly“ generell die Strukturen und das Verhalten der Akteure der Arzneimittelbranche. Wo hapert es über Corona hinaus?

Generell hat sich der Blickwinkel aller Beteiligten zu sehr auf das eigene wirtschaftliche Fortkommen verengt. Dabei sind Arzneimittel ein besonderes Gut und die bestmögliche Arzneimittelversorgung gehört zu den lebenswichtigen Grundbedürfnissen der Menschen. Deshalb dürfen Forschung, Herstellung und auch der Vertrieb bzw. Handel mit Arzneimitteln nicht dem freien Spiel wirtschaftlicher Lobbyinteressen überlassen werden. Hier ist hauptsächlich die Politik gefragt, die entsprechende Rahmenbedingungen setzen müsste.

Ein Vorschlag, den Sie im Buch formulieren, ist ein nationales Arzneimitteldepot. Warum ist das nötig?

Aus meist finanziellen Gründen hat sich in den vergangenen Jahrzehnten die Wirkstoffproduktion überwiegend in asiatische Länder verlagert. Unterbrechungen der Lieferketten, aber auch Qualitätsmängel führen bei uns zu immer mehr Liefer- und Versorgungsengpässen. Eine schnelle Rückverlagerung der Wirkstoffproduktion nach Deutschland und Europa erscheint mir allerdings ziemlich unrealistisch. Deshalb halte ich die Schaffung eines nationalen Arzneimitteldepots, entsprechend der nationalen Ölreserve, für den gangbaren Weg, unsere Arzneimittelversorgung schnell und krisenfest weitestgehend abzusichern.

Und was wäre der Vorteil davon?

Unsere Abhängigkeiten von der globalen Arzneimittelproduktion würden durch ein nationales Arzneimitteldepot stark abgepuffert. Wir würden Zeit gewinnen, um beispielsweise auf kurzfristig erhöhten Bedarf reagieren oder den Ausfall einzelner Produktionsstätten kompensieren zu können. Je nach Ausgestaltung des Depots könnte es auch Einfluss auf den bisher weitgehend unregulierten Zwischenhandel oder künstliche Marktverknappungen nehmen.

Wie ist Ihre Einschätzung – werden wir noch lange mit der gegenwärtigen Pandemie leben müssen?

Vermutlich ja. Der Coronavirus SARS-CoV-2 ist weltweit verbreitet. Wirksame und verträgliche Impfstoffe stehen noch nicht zur Verfügung und werden möglicherweise wegen der vielen Virusvarianten auch nur zu gewissen Prozentsätzen vor einer Infektion schützen. Die Entwicklung und Zulassung wirksamer Medikamente zur Behandlung einer Corona-Virus-Erkrankung wird hingegen noch Jahre in Anspruch nehmen. Wir werden also lernen müssen, mit dem Virus zu leben und uns der Situation anzupassen.

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