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Seit Jahrhunderten versuchen wir erfolgreich, unsere Wirklichkeit zu verstehen, zu organisieren, zu strukturieren, zu vermitteln – und das alles mit einem Denkmodell; einem, das ich das Brockhaus-Denkmodell nennen möchte. Denn wir sortieren, wir unterteilen, wir trennen – zum besseren Verständnis – in kleinere Sektionen, wir strukturieren, bauen Raster, Schubladen und verstauen dort die Wirklichkeit. Glauben Sie mir nicht?

Vom Bücherregal bis zum Schulunterricht: Brockhaus-Denken überall

Machen Sie einfach einen kleinen Selbstversuch, gehen Sie zum Bücherregal und stellen Sie sich vor Ihr Lexikon. Und nun versuchen Sie, sich Aufbau und Struktur des Unternehmens oder der Organisation, in dem/der Sie zurzeit arbeiten, vor Augen zu führen. Stellen Sie sich das Logo Ihres Unternehmens über dem Lexikon schwebend vor – erkennen Sie die darunter zusammengefassten verschiedenen Abteilungen und Organisationseinheiten, aneinandergereiht wie die Bände eines Nachschlagewerkes? Oder denken Sie an die Schule, die Sie besucht haben, und stellen Sie sich den Namen Ihrer Schule, in der Sie vermutlich wie ich zwölf oder dreizehn Jahre Ihres Lebens verbracht haben, über dem Lexikon schwebend vor.

Tadellos reihen sich die verschiedenen Klassenstufen nebeneinander. Stellen Sie sich Ihren Stundenplan vor – das Dutzend im 45-Minuten-Takt abgespulter Unterrichtsfächer können Sie sicherlich in diese so vertraute Struktur einbauen. Das gesamte Schulgefüge passt wunderbar in diese Reihung, die Sie gerade vor sich sehen. Und nun zu Ihrer Hochschule, in der Sie vielleicht weitere vier, fünf Jahre Ihres Lebens verbracht haben oder gerade verbringen. Sehen Sie die verschiedenen Fachbereiche, von dem Sie einen für sich gewählt haben, vor sich? Lassen Sie in Gedanken den Namen Ihrer Hochschule über den Büchern in großen Lettern erscheinen, und schon können Sie die Architekten, die Betriebswirte, die Chemiker, Designer, Ethnologen, die Juristen, Mediziner, Verfahrenstechniker bis hin zu den Zoologen fein säuberlich getrennt erkennen.

 

Stellen Sie sich nun einen Ihrer letzten Gänge zu einer Behörde vor, nehmen wir als Beispiel das Bürgeramt, in dem Sie Ihren neuen Personalausweis beantragt haben. Schreiben Sie in Gedanken „Bürgeramt“ über Ihr Lexikon, und schon sehen Sie an die 20 unterschiedliche Abteilungen, betraut mit Aufgaben rund um die Interessen der Bürger. Und Sie erinnern sich vielleicht, wie schwer es war, die für Sie zuständige Stelle zu finden.
Vielleicht erinnern Sie sich aber auch an einen freundlichen Herrn, der Ihnen mit einem geschickten Hinweis geholfen hat, die richtige Amtsstube zu finden. Und nun noch ein kleiner Sprung. Schreiben Sie in Gedanken „Bundesregierung“ in dicken Lettern auf schwarz-rot-goldener Flagge über ihr Lexikon. Schon tauchen die verschiedenen Ministerien als klar abgetrennte Ressorts, ihrerseits wieder unterteilt in Abteilungen und Unterabteilungen, vor Ihrem inneren Auge auf.

Network Thinking ist gekommen um zu bleiben

Machen Sie sich mit mir zusammen auf den Weg, bewusst das uns vertraute Denkmodell zu verabschieden, ein Modell, das wir Brockhaus-Denken nennen können. Es ist dieses Denken, das sich auf ein Ende zubewegt und das wir über kurz oder lang ersetzen werden durch ein vollkommen neues Denken, von dem wir bisher nur eine diffuse Ahnung haben. Denn das, was Sie da vor sich sehen, diese von A bis Z aufgereihten Bücher, hat seinen Sinn verloren in einer global vernetzten, sich immer schneller verändernden Welt.

Das Denken, das sich hier in Buchform manifestiert, ist einer digital vernetzten Welt nicht mehr gewachsen. Das Unwohlsein, das wir in dieser vernetzten Welt spüren, rührt daher, dass wir uns mit Hilfe von alten, viel zu starren Denkmodellen darin bewegen.

Längst müssen wir nicht mehr auf die nächste Druckausgabe unseres Lexikons warten, um an konkrete neue Informationen zu kommen, die zudem kurz nach Erscheinen des Bandes schon wieder veraltet sein könnten. Schon seit Jahren stützen und verlassen wir uns auf die aus aller Welt über die Informationsnetze zusammengetragenen Nachrichten und auf Google und Wikipedia, um aktuell informiert zu sein.

Aber warum aber sollte die immer dichtere und schnellere Vernetzung nur unser Informationsverhalten verändern? Denn nahezu alle Lebens- und Arbeitsprozesse sind in den Industrienationen mittlerweile mit digitaler Informationstechnik vernetzt, und das wirkt sich nicht nur auf den Fluss von Informationen aus, sondern verändert in rasanter Geschwindigkeit unsere Unternehmen, Organisationen, Bildungseinrichtungen und politischen Institutionen.

Damit sind Sie Zeuge eines großen Wandlungsprozesses, der erneut die Geschichte der Menschheit fundamental ändern wird: Sie erleben den Übergang vom Brockhaus-Denken zum vernetzten Denken – zum Network Thinking.

Ganz so, wie der Brockhaus unser Bücherregal früher oder später für immer verlassen wird, ist es an der Zeit, auch in den Köpfen den Abschied vom statischen, siloartigen Brockhaus-Denken einzuläuten. Denn seien Sie sicher: Das Network Thinking ist gekommen um zu bleiben.

(Dies ist ein überarbeiteter Auszug aus dem Buch „Network Thinking“ von Ulrich Weinberg, erschienen 2015 im Murmann Verlag.)

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