Als Wirtschaftsethiker kann Thomas Beschorner beruflich gerade aus den Vollen schöpfen: Kaum ein Tag scheint zu vergehen, indem nicht ein Skandal – von Lebensmitteln über Daten bis zu Autos – die Nachrichten dominiert. Genügend Material zum Untersuchen für den St. Gallener Professor also. Doch Beschorner sieht darin auch Auswirkungen auf uns, auf unsere Gesellschaft. In seinem Buch „In schwindelerregender Gesellschaft. Gleichgewichtsstörungen der modernen Welt“ blickt er auf die Risiken und Nebenwirkungen unserer Gegenwart – und des gegenwärtigen Wirtschaftens.
Im Interview erklärt Thomas Beschorner, was der Nährboden für Skandale in der Wirtschaft ist und wie der Schwindel unsere Gesellschaft beeinflusst.
Herr Beschorner, was ist Ihr Lieblingswirtschaftsskandal dieses Jahrzehnts?
Haha, Lieblingswirtschaftsskandal ist ein interessantes Wort! Es gibt zwei: Das Diesel-Gate von Volkswagen und der Facebook-Cambridge-Analytica-Vorfall. Bei Volkswagen „gefällt mir“ die Unverfrorenheit, mit der hier vorgegangen wurde. Irgendwie ist das schon ein cooler Beschiss. Auf so eine Idee muss man erstmal kommen. Im Facebook-Fall aus dem Jahr 2016 wurden etwa 87 Millionen Daten abgezogen. Hier ist der Zweck interessant. Die Daten dienten nämlich dazu die letzte amerikanische Präsidentschaftswahl und die Abstimmung zum Brexit zu manipulieren. Das ist schon ‘ne Nummer. Private Unternehmen beeinflussen unsere Demokratie?! Ups! Ich wusste in beiden Fällen nicht, ob ich lachen oder weinen sollte und fand das jeweils ziemlich erschütternd. In meinem Buch gibt es eine kleine Glosse zum Facebook-Skandal, die die Vorfälle mit Humor auf die Schippe nimmt – ist aber nicht wirklich lustig!
Welche Parameter müssen überhaupt erfüllt sein, dass man von einem Skandal sprechen kann?
Ganz allgemein spricht man von einem Skandal, wenn Menschen anstößig handeln und ihr Handeln jenseits von etablierten Normen, Wertvorstellungen und Konventionen liegt. Rechtliche oder moralische Regeln werden verletzt und die Vorgänge werden skandalisiert, sprich: kommunikativ verbreitet. Über die Anstößigkeit wird gesprochen, beschrieben, berichtet.
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Skandale erleben wir bei Autos oder Daten, aber auch Lebensmittelskandale gab es in der Vergangenheit – gefühlt also bei allen Themen, in denen es ums Wirtschaften geht. Was ist der Nährboden für Skandale?
Man könnte jetzt ad hoc „individuelle Gier“ antworten, aber das greift zu kurz, wie ich meine. Ein weitergehendes Problem sind sicherlich Anreizsysteme in Unternehmen, die in der Regel ausschließlich auf Gewinnmaximierungen ausgerichtet sind. Da werden Gewinn- oder Wachstumsziele ausgerufen und die müssen eben erfüllt werden – gleichgültig wie, notfalls auch mit Betrug.
Kann es für ein Unternehmen also wirtschaftlich lohnend sein zu lügen?
Ich sage es ja nicht gerne, aber: ja! Stellen wir uns vor, der Bußgeldbescheid für Falschparken wäre 50 Cent und das Ticket am Parkautomaten kostete zwei Euro pro Stunde. Welches Verhalten würden wir von Autofahrern erwarten? Genau! Dieses Beispiel spiegelt leider recht gut die Logik wider nach denen Unternehmen mitunter handeln. Und es wirft auch ein kritisches Licht auf eine im Grunde desaströsen politische Rahmenordnung. Volkswagen ist in Deutschland zu schlappen fünf Millionen Euro verurteilt worden – bei wirtschaftlichen Vorteilen in Milliardenhöhe. Es handelt sich zudem nicht um eine Strafzahlung, sondern um ein Bußgeld wegen einer Ordnungswidrigkeit. Warum? Weil es kein Unternehmensstrafrecht in Deutschland gibt, was dringend zu ändern ist, denn die Wirtschaft hat ganz offensichtlich große Schwierigkeiten mit der Moral.
Sie vertreten in Ihrem Buch die These, dass der Schwindel sich auch auf unsere Gesellschaft auswirkt. Wie?
„Schwindel“ hat zwei Bedeutungen. Ich meine, dass uns in dieser Welt zunehmend schwindelig wird, denn die Gesellschaft nimmt Fahrt auf. Entwicklungen laufen immer schneller, Strukturen werden immer unübersichtlicher und fragmentierter. Menschen kommen nicht mehr hinterher-, manchmal auch nicht mehr klar in dieser komplexen Welt. In den letzten Jahren kam noch die Digitalisierung, der Klimawandel, die Flüchtlingsströme und was noch alles hinzu. Allesamt im Übrigen prächtig für Wertkonflikte in Mitten der Gesellschaft geeignet.
Und die zweite Bedeutung ist das Schwindeln?
Genau und das hängt zusammen! Diese „schwindelerregende Gesellschaft“ lockt damit nämlich Schwindler und Schwindel an. Auf der Suche nach Orientierungen greifen hier sehr gut einfache Geschichten, besonders, wenn sie die Menschen emotional ansprechen, über einfache Freund-Feind-Bilder zum Beispiel. Es ist kein Zufall, dass wir inzwischen zig Regierungschefs auf dieser Welt haben, bei denen man ja schon an der Zurechnungsfähigkeit zweifeln muss. Die Wirrköpfe verfangen mit ihren Storys bei manchen Menschen, es kann uns passen oder nicht. Die Wahrheit wird in unserer Gesellschaft zunehmend zur Verhandlungssache. Solche und andere Phänomene sollte uns durchaus Sorgen bereiten, denn hier scheint mir nicht weniger als unsere demokratische Grundordnung auf dem Spiel zu stehen, die eben von „vernünftigen Diskursen“ lebt. Eine Demokratie und eine geordnete Gesellschaft ohne das Nehmen und Geben von guten, rationalen Gründen kann es nicht geben.
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Titelbild: Thomas Beschorner