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Unser Verleger Sven Murmann über kollaborative Schriftkultur, Zusammenarbeit, KI und Autor*inschaft

Die Schriftkultur befindet sich ­– eigentlich schon seitdem es die Schriftkultur gibt – in einer ständigen Transformation. Kollaborative Texterstellung gehört seit der Etablierung der Online-Enzyklopädie Wikipedia zu den Selbstverständlichkeiten globaler Wissensvermittlung.  Maschinelles Lesen und Schreiben, angetrieben und umgesetzt von selbstlernenden KI-Programmen, rütteln am Sockel eines Denkmals der Humanität: Der Autor*inschaft, die wir natürlichen Personen zuschreiben. Sie stand bisher für die moderne Idee der Urheberschaft und bildete den Ausgangspunkt für multiple Materialisierungen: von der Gesetzgebung, dem Urheberrecht bis zur spezifischen Vertragsausgestaltung zwischen Verlag und Autor*in.

Geistiges Eigentum verpflichtet, oder?

Wie stark wir dieser Tradition verbunden sind, zeigen die überall kontrovers aufbrechenden Diskussionen um die Vor- und Nachteile des KI gestützten maschinellen Schreibens. Diese Entwicklung fordert unser gewachsenes kulturelles Selbstverständnis heraus:

Unser Bücherregal repräsentiert Nobelpreisträger*innen, ist Aufbewahrungsstätte kreativer, genialischer Subjektivität, der geistige Ursprungsort, von dem alle weiteren Prozesse ausgehen, seien sie informierender, orientierender oder unterhaltender Art.

Eine oder einer macht den Anfang, stellt etwas in die Welt, eine These, eine Geschichte, die wir mit einer Person als Autor*in, Erfinder*in oder Künstler*in verbinden wollen. Und jetzt kommen maschinell generierte Texte oder Personen gehen Co-Autor*innenschaften mit Computern ein. Und das führt zu ganz neuen Herausforderungen: Wie machen wir maschinengenerierten Content sichtbar? Wer ist eigentlich Urheber*in des Contents? Die Maschine? Die Person, die die Maschine bedient? Oder die Entwickler*innen, die die Maschine programmiert haben? Aber: Allen Abgesängen (ob nun Im Rahmen der Erfindung des Radios, des Fernsehens oder des Internets) hält sich das geschriebene Wort als Medium tapfer – so besagt auch das Rieplsche Gesetz (1913), dass neue Medien alte, gesellschaftlich etablierte Medien nur ergänzen und nie ganz ersetzen.

Es handelt sich also weniger um eine Transformation des geschriebenen Wortes als Trägermedium, sondern um eine fundamentale Verschiebung der Absenderstruktur. Und genau deshalb  war diese Verlegerweisheit nie romantischer:

Ich verlege keine Bücher, sondern Autor*innen.

Worauf es nun ankommt, ist Selektionskompetenz. Welcher Gedanken ist wirklich originell und neu? Und wie können wir die Co-Autor*innenschaften kuratieren?

Partizipatives Gestalten statt Top-down-Ignoranz

Umso bemerkenswerter ist es, dass unser dieser Tage erscheinendes Buch über »Die große Kokreation« mit Jascha Rohr einen Autor hat. Geht es doch um die gemeinsame Gestaltung eines lebensbejahenden Prozesses: Rohr spricht auch von einer kokreativen Werkstatt, in der die Beteiligten im partizipativen Miteinander nach den besten Lösungen für sich und ihre Umgebung suchen. Konkrete Strategien, Werkzeuge und Beispiele zeigen, wie persönliches Wachstum mit Transformations- und Entwicklungsprozessen in unseren Projekten und Organisationen zusammengehören.

Die De-Romantisierung von New Work & den Magic Moments

Man kann diesen kokreativen Prozess auch unter dem Aspekt der Arbeitskultur betrachten, sozusagen als eine Art »Workspotting.« So lautet der Titel unserer zweiten Neuerscheinung im Mai. Und diese ist tatsächlich von einem  mehrperspektivischen Autor*innenquartett geschrieben worden. Wie mühsam und ineffizient mitunter kokreatives und kollaboratives Arbeiten in Teams sein kann, legen die Autor*innen anhand von Fallbeispielen und Analysen genauso offen, wie die erleuchtenden Momente gelingender Zusammenarbeit.

Den Autor*innen geht es um die Wahrnehmung der vielen kleinen, teilweise widersprüchlichen Blickwinkel und Routinen, die unserer Arbeitswelt zugrunde liegen – und wollen die Fähigkeit schärfen, jeden Augenblick differenzierter und tiefer wahrzunehmen und so aus erlernten Drehbüchern auszubrechen und neue, echte Zusammenarbeit zu ermöglichen. Und genau dieser Blick in die Mikro-Ebene menschlicher Interaktionen ist dann doch eine Fähigkeit, die kein ChatGPT dieser Welt so einfach erlernen kann – weil maschinell erstellte Texte eben immer Mustern folgen.

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