Die Buchbranche ist im Umbruch. Die aktuellen Entwicklungen beleuchten die (Branchen-)Medien dabei gleichermaßen online und in ihren Printheften, doch wie reflektieren aktuelle Bücher eigentlich die Veränderungsprozesse? Das wollten wir genauer wissen und haben Michael Knoches wissenschaftliches Buch „Die Idee der Bibliothek und ihre Zukunft“ (Wallstein Verlag), das Sachbuch „Der Bestseller-Code“ von Jodie Archer und Matthew L. Jockers (Plassen Verlag) sowie den Roman „Die Bestsellerin“ von Josef Brainin (Dachbuch Verlag) gelesen und geschaut: Wie werden die Veränderungen der Buchbranche in Büchern selbst reflektiert und erzählt? Welche Transformationsprozesse finden Einzug zwischen den Buchdeckeln? Während Michael Knoches Blick der Bibliothek in Zeiten der Digitalisierung gilt, erklären Jodie Archer und Matthew L. Jockers, wie schlaue Computer beim Erahnen von Bestsellern helfen können. Und Josef Brainin schaut literarisch auf das Sein und Schaffen einer Bestseller-Autorin.
Michael Knoche „Die Idee der Bibliothek und ihre Zukunft“
„Die Idee der Bibliothek ist nach wie vor stark notwendig“ – mit dieser These vertritt Michael Knoche seinen Standpunkt gleich zu Beginn seines Buches in aller Deutlichkeit. Zugleich könnte er mit diesem Fazit auch enden. Warum die Gesellschaft auch in Zukunft und trotz des Internets nicht ohne Bibliotheken auskommen wird, das erklärt Knoche in seinem Buch anschaulich und für jedermann verständlich. Den Fokus legt er nicht auf die Organisation, sondern auf die Funktion der Idee Bibliothek und erläutert deren gesellschaftliche Relevanz. Selbst diejenigen, die zuvor an der Wichtigkeit von Bibliotheken zweifelten – zumal im digitalen Zeitalter – werden nach der Lektüre des Buches zugeben müssen, dass die Idee der Bibliothek eine der fortschrittlichsten der Menschheit ist und sie deshalb auch in Zukunft erhalten werden muss.
Doch Knoche liefert nicht nur Argumente, warum wir an der Bibliothek und ihren menschlichen Errungenschaften festhalten sollten, ebenso nennt er konkrete Handlungsweisen, wie wir die Bibliothek der Zukunft im Idealfall gestalten können. So plädiert er beispielsweise für ein Bibliothekensystem, um die schier unmögliche Aufgabe der Archivierung und Speicherung von allen Medien zu bewerkstelligen. Knoche schafft es, prägnant festzustellen, welche Probleme Bibliotheken gerade umtreiben – und das sind mehr als der Laie vielleicht zunächst annehmen darf. Oder haben Sie sich schon einmal darüber Gedanken gemacht, dass die E-Book-Lizenz auch wieder erlöschen kann oder in einigen Bibliotheken Bücher stehen, welche zur Zeit des Nationalsozialismus unter fragwürdigen Umständen erworben wurden? Knoche ist mit „Die Idee der Bibliothek und ihre Zukunft“ ein umfassender Überblick über Bibliotheken im Zeitalter der Digitalisierung gelungen. Ein Glücksfall fürs 21. Jahrhundert.
Jodie Archer und Matthew L. Jockers „Der Bestseller-Code“
Wenn ein Buch auf der Bestseller-Liste steht, bedeutet das: Es hat sich gut verkauft. Und dadurch, dass es auf der Bestseller-Liste steht, wird es sich meist noch besser verkaufen. Denn zum einen orientieren sich viele Buchhandlungen an solchen Listen – sie wollen ja die Produkte vor Ort haben, die die Leser (und Kunden) interessieren und sich entsprechend auch verkaufen. Durch die hohe Verfügbarkeit der Produkte kaufen die Leser sie mehr, sodass ein Bestseller zu dem wird, was das Wort meint: dem besten Verkaufsobjekt.
Verführerisch für Verlage – und gleichsam Autoren – wäre es nun, solche Bestseller planen zu können. Gerade bei Büchern unbekannter Autoren ist das jedoch nicht leicht, mehr noch: schwer einzuschätzen, ob ein Buch wirklich das Zeug zum Bestseller hat. Jenseits des Bauchgefühls, das in Verlagen oft bei der Auswahl von publikationsfähigen Titeln angewandt wird, ermöglicht die Digitalisierung die systematische Analyse früherer Bestseller – und die Projektion dieser Ergebnisse auf neue Bücher. Jodie Archer und Matthew L. Jockers haben dafür – verkürzt gesagt – einen Computer gleichermaßen mit New York Times-Bestsellern und Nicht-Bestsellern gefüttert, ihn diese lesen und nach Gemeinsamkeiten und Unterschiede filtern lassen: Welche Themen und Orte herrschen vor, welche Wörter finden sich in den verkaufsstarken Büchern und welche eher nicht? Die Antwort auf die letzte Frage illustriert die Tiefe, mit der ein Computer sich ein Werk anschauen kann, denn die Erkenntnis lautet: „Das Wort ‚very‘ […] ist im Bestseller-Stil nur halb so häufig wie in Büchern, die nicht auf die Listen gelangen.“ Auch interessant: Leser bevorzugen Handlungen in kleinen oder großen Städten, begeistern sich aber eher wenig für den Dschungel oder die Wüste als Setting.
Entdeckungen wie diese fügen sich beim Lesen von „Der Bestseller-Code“ in ein großes Gesamtbild zusammen: Erstens nämlich gibt es durchaus Parallelen in erfolgreichen Büchern, auch unterschiedlicher Genres, die jenseits der eigentlichen Handlung liegen und sich etwa in der Auswahl der Themen und deren Zusammensetzung finden lassen (und ja, auch der Wortwahl). Zweitens kann – und auf diesem Verb liegt die Betonung – sich ein potenzieller Bestseller durchaus erahnen lassen, wenn auch mit Computerunterstützung nicht zu hundert Prozent. So hätte, schreiben Archer und Jockers, der Computer aber 80 Prozent der Bestseller richtigerweise als solche erkannt. Und drittens könnte „Der Bestseller-Code“ dabei helfen, in der Verlagsbranche ein Verständnis für die Möglichkeiten der Digitalisierung zu schaffen und sie, auch durch gezielte Analyse wie sie in anderen Branchen längst üblich sind, vom „Denken“ und „Glauben“ hin zu einer datenbasierten Einschätzung ihrer Produkte führen.
Josef Brainin „Die Bestsellerin“
Eine Bestsellerin – das ist Giesela Berger. Ihr Name auf dem Cover verspricht Erfolg und bringt ihrem kleinen österreichischen Verlag hohe Einnahmen. Doch was geschieht, wenn eine Bestseller-Autorin auf einmal beginnt, ihren Schreibstil zu verändern und aus ihrem literarischen und künstlerischen Korsett auszubrechen? Genau dies beleuchtet Josef Brainin in seinem Roman „Die Bestsellerin“ und zeigt dabei, dass es Segen und Fluch zugleich sein kann eine Bestseller-Autorin zu sein. Zudem ist der Roman eine kritische Betrachtung der Verlagsbranche selbst und bringt zum Ausdruck, unter welchem Druck insbesondere kleine Verlage in der heutigen Zeit stehen, um gegen große Medienunternehmen zu bestehen. Auch wird in „Die Bestsellerin“ dargelegt, welche Schwierigkeiten die Definition solcher Begriffe wie Autorenschaft und Urheber in der digitalen Welt bereiten.
Man kann während des Lesens spüren, dass Brainin in der Buchbranche – auch neben seinem Autorendasein – beheimatet ist. Er versteht es, Abläufe in einem Verlag mit viel Liebe zum Detail zu beschreiben. „Die Bestsellerin“ ist durch seine Länge ein kurzweiliges Buch, verpasst es aber leider, richtig Spannung aufzubauen. Auch die großen Zeitabstände zwischen den einzelnen Kapiteln können zuweilen ein wenig verwirren. Gut ist hingegen die Darstellung der Schwierigkeiten, die insbesondere eine Autorin in einer von Männern dominierten Welt zu bewältigen hat. Insgesamt ist das Buch aufgrund seiner tiefen Einblicke in das Verlagsleben lesenswert.
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